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Gemeinsam ein neues Stadtteilhaus entwickeln

Ein Überblick über Planung, Bau und Neueröffnung der Hamburger Bücherhalle Eidelstedt im Stadtteilkulturzentrum »steeedt«.
Das Steeedt liegt zentral am Marktplatz. Foto: Bücherhallen Hamburg

»Mitten im Zentrum Eidelstedts schlägt seit heute ein neues soziales und kulturelles Herz. Das ›steeedt‹ ist genauso, wie man sich ein modernes Stadtteilkulturzentrum wünscht. Es vereint unterschiedliche Nutzungen, bringt die Initiativen vor Ort zusammen, lässt Neues entstehen und lädt alle Bürgerinnen und Bürger ein mitzumachen. …«[1]. So begann Kultursenator Carsten Brosda seine Eröffnungsrede am 2. September 2022 im modernen großen Saal des Hauses. Zum Tag der offenen Tür kamen Hunderte aus Eidelstedt und Umgebung, um ihren neuen urbanen Mittelpunkt in Besitz zu nehmen.

Doch erst einmal zurück zu den Anfängen. Es gibt vielfältige Gründe für eine Stadt, Gemeinschaftshäuser auf- oder auszubauen. Bibliotheken als Frequenzbringer zu integrieren ist dabei immer ein lohnendes Vorhaben. Die nachhaltig positive Wirkung solcher Häuser auf die lokale Stadtgesellschaft ist offensichtlich.

Eidelstedt-Mitte wird zum Fördergebiet

Eidelstedt ist ein lebendiger Stadtteil im Nordwesten Hamburgs. Vor- und Nachteile der Stadtrandlage werden hier deutlich: Noch sind die Mieten im Vergleich eher moderat, es gibt zahlreiche Grünzüge und sehr viele junge Familien haben sich angesiedelt. Allerdings beziehen überdurchschnittlich viele Menschen staatliche Transferleistungen und die Migrationsquote liegt über dem Durchschnitt, sodass die Gewährleistung von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit ein zentrales Ziel von Stadtentwicklungsmaßnahmen sein muss. Eidelstedt-Mitte wurde im Rahmenprogramm Integrierte Stadtentwicklung (RISE)[2] im Jahr 2016 von der Senatskanzlei zum Fördergebiet erklärt.



Die »steg – Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg« wurde als Gebietsentwicklerin beauftragt, partizipative Prozesse zu initiieren und ein Entwicklungskonzept[3] für das Quartier zu erarbeiten. Unter Einbeziehung der Bevölkerung, des Gewerbes, von Initiativen, Einrichtungen, Schulen, Kitas und Vereinen wurde dieses entwickelt. Ein Ergebnis war der Umbau des zentral am Marktplatz gelegenen Kulturhauses zu einem Community-Center mit einem vielseitigen Angebotsmix aus Kunst, Freizeit, Information, Beratung und Bildung.

Diese interdisziplinäre Herangehensweise an die Konzeptionierung ist ein Grundstein integrierter Stadtentwicklung und zielt auf die Stärkung der sozialen und kulturellen Infrastruktur des Stadtteils ab, um seine Anziehungskraft zu erhöhen und die Lebensqualität zu verbessern.

Die Planungs- und Bauphase

Zur Realisierung des Bauprojekts erfolgte zunächst eine europaweite Ausschreibung mit der Maßgabe, den vorhandenen Altbau, der bis dahin das Kulturhaus Eidelstedt und die Elternschule beherbergte, um einen Erweiterungsbau zu ergänzen und in ein Stadtteilkulturzentrum neueren Zuschnitts umzuwandeln. Ein Preisgericht – an dem auch Vertreter/-innen des Stadtteils teilnahmen – wählte schließlich den Siegerentwurf aus.

Um die Vorplanungen abschließen zu können, mussten der Baugrund untersucht, ein Schadstoffkataster erstellt und die Wahrscheinlichkeit etwaiger Kampfmittelfunde abgefragt werden. Die Raumnutzung, die Größe der benötigten Flächen und die Aufteilung mussten definiert und verhandelt werden. Heizung, Elektrik, Brandschutz, Tragfähigkeit, Raumakustik und Schallschutz, Wärmedämmung, Lüftung und vieles mehr beschäftigten in der Folge die Bauplaner.

Gleichzeitig bildete die zukünftige Hausgemeinschaft – bestehend aus Kulturhaus Eidelstedt, Elternschule und Bücherhalle – zusammen mit der Entwicklungsgesellschaft und dem Bezirksamt Eimsbüttel mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit den Planungsaufgaben für den Realbetrieb nach der Fertigstellung befassten. Die Themen, mit denen sie sich zu befassen hatten, waren unter anderen der Baufortschritt und der Innenausbau, die Entwicklung der Dachmarke und der Corporate Identity (CI) sowie weitere flankierende Beteiligungsprozesse zur Erarbeitung einer Bedarfsanalyse. Außerdem waren eine Programmmatrix und das Leitbild zu erarbeiten. Das Angebot sollte zusätzlich durch ein Café abgerundet werden, so der Wunsch der Befragten, weshalb Ausschau nach einem Betreiber gehalten wurde.

Vom »Kulturhaus Eidelstedt« zum »steeedt – Haus für Kultur, Bildung und Begegnung«

Unter den oben beschriebenen Prüfungen und Prozessen nahmen die Bedarfsanalyse und die Entwicklung einer Dachmarke beziehungsweise einer CI besonderen Raum ein.

Es war herausfordernd, eine Bedarfsanalyse auf Basis einer Bevölkerungsbefragung während einer Pandemie (April bis Dezember 21) durchzuführen. Beauftragt wurde hiermit die Gesellschaft »Stadtkümmerei« aus Berlin. Der Abschlussbericht fasste neun Schwerpunkte[4] in der Erwartungshaltung der Befragten zusammen:

 

  • zivilgesellschaftliches Engagement fördern
  • zentrale Lage nutzen als identitätsstiftendes Zentrum des Austauschs, der Begegnung und Teilhabe
  • niedrigschwellige Hilfs- und Beratungsangebote bündeln
  • Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Stadtteil (zum Beispiel Sportverein)
  • Angebote analog und digital vorhalten; Einbeziehung der umgebenden Marktfläche als Freiluftbühne für Aktionen
  • Menschen mit Migrationsgeschichte durch gezielte Angebote stärken und fördern
  • regelmäßiges Monitoring der Bedarfsentwicklung
  • gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, um die Dachmarke zu stärken
  • alle Gruppen im Stadtteil regelmäßig befragen
  • Finanzierung eines aktiven Vernetzungsmanagements zur Unterstützung der Einrichtungen

 

Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten sehr auf die integrative Kraft des Stadtteilhauses vertrauen und hohe Ansprüche haben. Es zeigt sich auch, wie groß der Wille der Bevölkerung ist, den Stadtteil wirklich lebenswert für alle zu gestalten.

Mit der Entwicklung der Corporate Identitiy für das neue Haus wurde die Agentur »anschlaege.de«[5] in Berlin beauftragt. Die Hausgemeinschaft entschied sich für den Namen »steeedt – Haus für Kultur, Bildung und Begegnung«. Dieser leitet sich von der in Hamburg recht gebräuchlichen Endung -stedt bei Stadtteilnamen ab. Die Buchstabenfolge eee steht für die drei Mitglieder der Hausgemeinschaft. Eine leichte Irritation war durchaus beabsichtigt, um auf das Haus neugierig zu machen.



In Eidelstedt regte sich – stärker als bei ähnlichen Vorhaben in anderen Stadtteilen – eine äußerst skeptische Haltung einiger Aktiver gegenüber der Neuausrichtung des Hauses und vor allem gegenüber dem Namen »steeedt«.  Diese Haltung wurde möglicherweise durch die Befürchtung erzeugt, dass zu viel Neues der Identität des Stadtteils – wie man ihn kennt und mag – schaden könnte. Man fühlte sich trotz zahlreicher öffentlicher Anhörungen und Informationsveranstaltungen nicht ausreichend informiert und gefragt. Allerdings zeigte sich schon am Eröffnungstag, dass das Haus von einer überwältigenden Mehrheit der Menschen sehr erwartet worden war und problemlos angenommen wurde.

Angekommen in den neuen Räumen

Für die Bücherhalle Eidelstedt bedeutete der Umzug eine erhebliche Standortverbesserung. In den Obergeschossen eines Ärztehauses untergebracht, war sie zuvor von ebener Erde aus kaum zu entdecken und der Zugang über eine Seitengasse tat sein Übriges. Nun ist sie nicht mehr zu übersehen. Die neuen Räume sind barrierefrei und lenken den Blick auf das rege Treiben auf dem Marktplatz außerhalb. Auf circa 600 Quadratmetern finden die Gäste klar strukturiert die verschiedenen Funktionszonen vor. Ein großer, heller Gruppenraum steht zum Lernen, Arbeiten und für Veranstaltungen zur Verfügung.

Die Annahme ist überwältigend und dies schlägt sich auch in den Kennzahlen nieder. So liegt der Zuwachs an Neuanmeldungen bei circa 150 Prozent und die Bücherhalle begrüßt 58 Prozent mehr Gäste: eine große Herausforderung für das Kollegium. Die Regale waren wochenlang recht leergefegt, was vereinzelt zu Verdruss führte. Allmählich gleicht sich das aber wieder aus. Nach einigen Problemen mit der Funktion der Eingangstür wurde schlussendlich auch die FlexiBib[6] (früher Open Library) in Betrieb genommen. Die Bücherhalle kann inzwischen an den allen Wochentagen von 7 bis 22 Uhr genutzt werden. Es ist also zu erwarten, dass sich die Kennzahlen noch weiter verbessern werden.



Entscheidend für den Erfolg eines solchen Hauses ist vor allem eine enge, partnerschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die gemeinsame Nutzung der Gruppen- und Veranstaltungsflächen und die Entwicklung und Durchführung von bedarfsgerechten Aktionen. In Eidelstedt werden auch Küche und Pausenbereich von der gesamten Hausgemeinschaft genutzt. Insgesamt 5 von 32 Filialen der Bücherhallen befinden sich derzeit in Stadtteilhäusern.

Der nachhaltige Nutzen von Stadtteilhäusern

Stadtteilhäuser sind ein nicht zu unterschätzender Hebel bei der Umsetzung des SDG 11 der Agenda 2030[7], welches sich mit nachhaltigen Städten und Gemeinden befasst und Ziele definiert, um bis zum Ende des Jahrzehnts Siedlungen inklusiver, sicherer, resilienter und nachhaltiger zu gestalten. Ihre Ausrichtung kann durchaus unterschiedlich sein: Manche haben kulturelle Schwerpunkte, andere Soziales oder Bildung.

Öffentliche Bibliotheken in solche Häuser zu integrieren, ist gewinnbringend. In Hamburg sind Projekte in Planung, die eine Bibliothek, Einrichtungen der Soziokultur, wissenschaftliche Einrichtungen, Sportvereine oder Museen unter einem Dach zusammenbringen wollen. Denkbar ist jede Art von Hausgemeinschaft, solange die Beteiligten den festen Willen haben, zum Wohl ihrer Quartiere nutzbringend und nachhaltig zusammenzuarbeiten. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Bedacht werden muss jedoch, dass alle relevanten Gruppen im urbanen Umfeld angemessen berücksichtigt werden und passende Angebote vorfinden. Stadtteilhäuser befördern Transformationsprozesse proaktiv und konstruktiv. Im besten Fall unterstützen Sie die Menschen bei der Gestaltung dieser Veränderungsprozesse, nehmen dabei alle mit und arbeiten bedarfsorientiert, integrativ und partizipativ.

Öffentliche Bibliotheken können in solchen zutiefst demokratischen Prozessen eine entscheidende Rolle übernehmen. Erforderlich sind lediglich der Wille zur Kooperation, Lust auf aktive Programmarbeit und Mut und Entschlossenheit, sich selbst zu aktiven Mitgestaltenden der Gesellschaft zu entwickeln. Angemerkt sei hier auch, dass sich dieses Rollenverständnis sehr viel leichter mit Leben füllen, wenn das Bibliotheksteam sich als Ganzes mit diesen Aufgaben identifiziert und seinen Teil dazu beitragen möchten. Es kann also durchaus erforderlich sein, die Mitarbeitenden hierbei zu unterstützen.

 

[1]  Behörde für Kultur und Medien Hamburg: Eröffnung des Stadtteil- und Kulturzentrums »steeedt«. In: Pressearchiv der Freien und Hansestadt Hamburg. 2. September 2022 [online] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/16464856/eroeffnung-steeedt/

[2] Eidelstedt Mitte. In: hamburg.de, o. D.b, [online] https://www.hamburg.de/eimsbuettel/bezirksentwicklung/11372700/eidelstedt-mitte/ 

[3] steg Hamburg mbh: RISE-Fördergebiet »Eidelstedt-Mitte«. Zwischenbilanzierung und Fortschreibung des Integrierten Entwicklungskonzeptes; im Auftrag von: Freie und Hansestadt Hamburg

[4] Bürgerhaus Steeedt - Stadtkümmerei GmbH: o. D., [online] https://stadtkuemmerei.de/de/integrierte-stadtentwicklung/andere-projekte/buergerhaus-steeedt 

[5] Campus of Cultures – anschlaege.de: in: anschlaege.de, 17.06.2022, [online] https://www.anschlaege.de/casestudy/campus-of-cultures/ 

[6] FlexiBib: Hier ist deine Karte der Aufmacher: in: Bücherhallen Hamburg, 08.11.2022, [online] https://www.buecherhallen.de/blog-artikel/flexibib.html 

[7] SDG 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden: in: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, o. D., [online] https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-11 

Susanne Wilkin ist seit 2009 Leiterin des Bereichs Stadtteilbibliotheken (32 Filialen und 2 Busse) der Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen. Lieblingsaufgaben: Aufspüren von Kompetenzen und Fähigkeiten; persönliches Wachstum an beruflichen Aufgaben ermöglichen; Zukunft visionieren und lohnenswerte Wege konsequent angehen und verfolgen; auf die Bedürfnisse des urbanen Umfelds eingehen, um als System unentbehrlicher Teil der Gesellschaft zu bleiben. – Kontakt: susanne.wilkin@buecherhallen.de

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