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Mal eine Spielvorstellung statt einer Buchvorstellung

Der Medienexperte Thomas Feibel stellt für BuB interessante Games und eine Projektidee nicht nur für Kinder- und Jugendbibliotheken vor.
Videospiele wie Minecraft sind bei Kindern und Jugendlichen seit eh und je beliebt, doch welche sind auch pädagogisch sinnvoll? Medienexperte Thomas Feibel hat eine Auswahl zusammengestellt. Foto: Alexander Kovalev - pexels.com
Videospiele wie Minecraft sind bei Kindern und Jugendlichen seit eh und je beliebt, doch welche sind auch pädagogisch sinnvoll? Medienexperte Thomas Feibel hat eine Auswahl zusammengestellt. Foto: Alexander Kovalev - pexels.com

 

Wer beruflich mit der Lesekompetenz von Kindern zu tun hat, dem kommt die aktuelle Iglu-Studie schon fast wie »Dinner for One« vor: Jedes Jahr das Gleiche, wobei die verheerenden Ergebnisse auch noch einem desaströsen Abwärtstrend folgen. Die Medien schlagen Jahr für Jahr Alarm und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert mehr Geld für Leseprogramme für Grundschulen. Nur ändern wird sich wieder mal nichts. Für das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler in Sachen Lesen gibt es viele Gründe. Sicher spielt dabei auch das zu Hause vorhandene bzw. nicht vorhandene Leseverhalten eine Rolle. Hinzu kommen noch mögliche Sprachbarrieren jener Kinder, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben.

Und natürlich brauchen wir auch viel Verständnis. Denn Kinder verfügen heute über viel weniger Freizeit und sobald sie ein Smartphone besitzen – das geht heute in der Grundschule immer früher los – sind die digitalen Angebote verlockender und deutlich niedrigschwelliger als die Lektüre eines Buches. Im Vordergrund stehen soziale Medien wie TikTok und natürlich Games.

Vielleicht eignet sich die folgende Projektidee, um gerade die leseschwachen Jungen zum Lesen und Schreiben zu motivieren, die sonst lieber Videospiele wie »Fortnite« spielen.



Statt also in der Schule nur auf die übliche und durchaus wichtige Buchvorstellung zu setzen, könnte eine ähnlich gestaltete Games-Vorstellung durchaus Wunder bei den besonders Leseschwachen bewirken.

Die Aufgabenstellung und Auseinandersetzung mit dem Werk liefe ähnlich wie bei der Buchvorstellung ab: 

  • Spielauswahl: Wähle dein Lieblingsspiel und mache dir Notizen, was dir daran gefällt. Warum möchtest du ausgerechnet dieses Spiel der Klasse vorstellen?
  • Werkeinordnung: Wer hat das Spiel gemacht? Erläutere und beschreibe die einzelnen Kriterien des Genres. Warum hast du dich für diese Spielegattung entschieden?
  • Inhaltsangabe: Erzähle von der Geschichte des Spiels und ordne sie einer Zeit zu. Beschreibe die Hauptfiguren, ihre Fähigkeiten und ihre Aufgaben. Wie genau lautet das Spielziel? Wie sehen die Belohnungen aus? Gibt es ein Spielende? Beschreibe dabei Dinge, die dir gut gefallen und benenne auch kritische Punkte.
  • Spielprobe: Zeige einen Trailer oder zeichne mit einer Software die Spielszenen auf, die du gezielt vorstellen möchtest.
  • Visuelle Darstellung: Präsentiere das Cover oder Titelbild deines Spiels für alle gut sichtbar. Eine Powerpoint-Präsentation eignet sich dafür sehr gut. Du kannst aber auch ein Plakat gestalten oder ein Thesenpapier anfertigen.

Bei solchen Games-Vorstellungen, die unter strenger Berücksichtigung der USK-Zahlen stattfinden, kann auch mit der Zielgruppe über Chancen und Gefahren in Spielen gesprochen werden. Erst im letzten Jahr wurde ein 17-jähriges Mädchen tödliches Opfer eines Sexualstraftäters, den sie über »Fortnite« kennengelernt hatte. Eine andere Problematik ist die Abzocke durch sogenannte In-App-Käufe. Gewusst haben wir das schon immer, aber jetzt gibt es konkrete Zahlen: 5,5 Milliarden Euro hat die deutsche Videospieleindustrie 2022 an Umsatz generiert und liegt dabei noch vor den Streamingdiensten (5,1 Mrd. Euro). Von diesen 5,5 Mrd. Euro entfallen übrigens circa 1 Milliarde Euro auf den verpackten Spielkauf, aber 4,4 Milliarden Umsatz gehen auf In-App- und In-Games-Käufe zurück. 
Das sind wichtige Informationen, die nicht nur Kinder wissen sollten. Im Rahmen einer engagierter Games-Vorstellung wäre das sicher ein gutes Diskussions-Thema.

Vorschule: Edurino (ab 4 Jahren)

Edurino ist ein preisgekröntes Lernspiel für Kinder von 4 bis 8 Jahren. Es besteht aus einem Starterkit mit drei Komponenten: einer App, einem Tablet-Stift und einer haptischen Spielfigur. Fuchs Mika vermittelt »Erstes Lesen & Schreiben« und Waschbär Robin ist für »Zahlen und Mengen« zuständig. Darüber hinaus gibt es weitere Spielfiguren für die Fächer Englisch und Kreativität. Relativ neu ist der Hund Luka, der jungen Kindern »Logisches Denken & Coding« nahebringt. Sobald eines dieser Tierwesen auf das Tablet gestellt wird, erkennt die App sofort, mit welchem Fach es nun spielerisch losgeht. Dabei ist die Mischung aus Spiel- und Lerneinheiten gut dosiert und setzt Kinder nicht unter Druck. Sobald zum Beispiel Luka das Tablet betritt, beginnt ein lustiges Programmierspiel um die fiesen Chaos-Käfer, die alles im »Tempel des Nachdenkens« durcheinandergebracht haben. Mit einfallsreichen Logik- und Denkspielen erkennen Kinder in verschiedenen Leveln knifflige Muster, schneiden sie aus oder ordnen sie zu. Nach dem Kauf eines Starterkits können die anderen Figuren auch einzeln für 25 Euro erworben werden. Die kostenlose App lädt dann den entsprechenden Themenschwerpunkt. Ein überzeugendes Konzept.

Edurino, Starterset mit Hund Luka, 44,95 Euro, 
App für iOS und Android, kostenlos



Spaß: Urban Riders (ab 8 Jahren)

»Urban Riders« zählt zu den bei Kindern und Jugendlichen beliebtesten Games. In diesem actiongeladenen Videospiel fangen die Spielenden einen Job als Fahrradkurier an. Der Verkehr ist mies, das Gehalt nicht so toll, aber jeder Auftrag wird zur Herausforderung. Von großartiger Musik begleitet geht es einmal mit einem Päckchen quer durch die Stadt, damit es der Empfänger in den eigenen Händen halten kann. Auf allen Wegen sammelt der Fahrradkurier jede Menge Münzen ein. Es gibt aber auch Probleme: Andauernd geschehen unvorhersehbare Sachen. Autos biegen überraschend ab und schneiden den Spielenden den Weg ab. Oder ein Bauarbeiter springt ohne Vorwarnung aus einem Gully heraus. Darum geht es hier um schnelle Reaktion, denn sonst erfolgt ein Sturz und die Fahrt ist viel zu schnell vorbei. Ein großer Spielspaß mit vielen kleinen Runden. 

Villa Hirschberg Online, App für iOS und Android, 
kostenlos (In-App-Käufe, 0,99 Euro bis 4,99 Euro)

Verschwörungstheorien: Wiebkes wirre Welt (ab 10 Jahren)

Inhaltlich geht es bei dieser innovativen Webseite um Manipulation und ihre Folgen. Dabei bringt dieses Projekt ein seltenes Kunststück fertig: Technisch und thematisch ist diese Seite äußerst anspruchsvoll, bleibt aber trotzdem niedrigschwellig. Das liegt vor allem am Setting mit den echten Schauspielern, die dem Bildungsspiel die Wirkung eines begehbaren Videos verleihen. Spielende, die auf wiebkes-wirre-welt.de kommen, sehen die Heldin an ihrem Rechner sitzen. Wir werden nun zu Agent 13 und unsere Aufgabe besteht darin, Wiebke solange mit unsinnigen Verschwörungstheorien zuzutexten, bis sie schließlich völlig verunsichert ist. Das kann zum Beispiel der Fake-Klassiker sein, die Amerikaner seien niemals auf dem Mond gelandet. Oder wir pflanzen Wiebke einfach ein, dass sich längst Aliens unerkannt unter die Menschen gemischt haben. Je verrückter die These, desto schräger kommt die arme Wiebke drauf. Besonders toll: Auf der Seite gibt es noch zu Fachbegriffen wie zum Beispiel »Verschwörungstheorie« jede Menge Hintergrundwissen und erstaunlich gelungene Erklärvideos. Das Wiebkespiel ist sehr witzig und überhaupt nicht komisch.

www.wiebkes-wirre-welt.de

Influencer/-innen: Skillstar – Erfülle die Mission Verbraucherhelden (ab 10 Jahren)

Der Berufswunsch vieler Kinder und Jugendlicher ist »Influencer«. Oft wird das dann von Erwachsenen belächelt oder es löst nur reines Kopfschütteln aus. Was aber braucht es, um diesen Berufswunsch umzusetzen? Die Macher von »Skillstar« haben dazu eine realitätsnahe App entwickelt, die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und der Stiftung Jugend und Bildung gefördert wurde. Darin können Kinder und Jugendliche verschiedene Strategien ausprobieren, um ihrem hehren Ziel ein Stückchen näher zu kommen. Nach der Auswahl des eigenen Avatars, unterhalten sich die Spielenden mit einem recht bekannten Musiker. Gelingt es nun, ihm ein gemeinsames Selfie zu entlocken und Aufnahmen auf dem fiktiven, sozialen Netzwerk »YouSimi« zu posten, kann das die eigene Followerzahl schlagartig verändern. Das ist aber nur der Anfang, denn es wird auch in die Modeszene und eine Schauspielschule hineingeschnuppert. Dabei müssen immer wieder neue Skills in Minispielen erlernt werden. Die Spielenden setzen sich dabei mit Rankings und anderem Fachwissen auseinander. Der App sollte dabei zugutegehalten werden, dass sie den Traum von Kindern und Jugendlichen ernst nimmt.

Stiftung Jugend und Bildung, 
App für iOS und Android, kostenlos



Körper und Sexualität: Sibel’s Journey (ab 12 Jahren)

Apps wie »Sibel’s Journey« sind selten, denn es geht auf der dreisprachigen App um gleich mehrere relevante Themen für Jugendliche. Oder wie es die Macherinnen ausdrücken: »Sibel’s Journey verfolgt einen intersektionalen Ansatz und vermittelt jungen Menschen fundiertes Wissen und eine positive Einstellung zu Themen wie Anatomie, Körperbild, Kommunikation, Verhütung, Geschlechtsidentität und respektvolle Beziehungen.«  Die Spielenden schlüpfen in die Rolle der 13-jährigen Sibel, die ihre Tante und ihre Freundin in Berlin besucht. Auf dieser Reise kommt sie mit Menschen und sensible Themen in Berührung, in denen es in Dialogform unter anderem um Body Positivity, Geschlechtsidentität, Verhütungsmöglichkeiten, das Setzen persönlicher Grenzen oder die LGBTQIA+ Bewegung geht. Minispiele sorgen im Gameplay für Abwechslung. Gut für den pädagogischen Einsatz.

Food for thought, App für IOS und Android, ca. 6 Euro

Politische Bildung: KonterBunt – Einschreiten für Demokratie (ab 12 Jahren)

Illustre Verschwörungstheorien und zügelloses Hatespeech verschlagen uns immer wieder die Sprache. Kommen krude Dinge über Corona, Klima oder den Krieg in der Ukraine etwa auf einer Grillparty zur Sprache, fällt einem spontan selten eine Antwort ein, die das Gegenüber wieder auf den Boden der Tatsachen bringen könnte. Die von der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung herausgegebene App »Konterbunt« will das ändern. Sinn des Spiels: Sobald jemand eine Stammtischparole von sich gibt, sollen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die das Spiel spielen – am besten auch im echten Leben – nicht schweigen, sondern klug und besonnen einschreiten und Paroli bieten. In verschiedenen Stationen kann so zum Beispiel auf antisemitische Phrasen (»Solche Leute haben hier nichts verloren«) reagiert werden. Von platt bis argumentativ ist in den vier verschiedenen Antwortmöglichkeiten alles dabei. Die Zeit läuft, der gewählte Konter wird mit Ampelfarben bewertet. Außerdem gibt es für solche Streitgespräche auf der App einen klugen und überzeugenden Strategie Guide. Im alphabetischen Parolenverzeichnis liegen die Themen und die Fakten vor. Ein sehr gelungenes Serious Game.

Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, 
App für iOS und Android, kostenlos

Horizon Forbidden West (Sony Interactive Entertainment, Playstation 4 und 5, ca. 80 Euro) ist der sensationelle Nachfolger eines ebenso sagenhaften Spiels um die Heldin Aloy. In einer dystopischen Welt leben Menschen in unterschiedlichen Stämmen und die junge Kriegerin geht gegen eine rötliche Seuche vor. Dabei muss sie Tiermaschinen geschickt und lautlos erledigen, um mit den eingeheimsten Ersatzteilen Modifikationen durchzuführen. Spannend und atemberaubend. 

Um die Umweltproblematik geht es in Endling-Extinction is forever (German HandyGames; für PC, Switch, Playstation und Xbox; ca. 30 Euro). Auch hier durchlaufen wir eine nicht so schöne Zukunft, in der Umweltzerstörungen und Klimawandel den Planeten zugrunde gerichtet haben. In der Rolle einer Füchsin, die ihre Kinder beschützen will, geht der Spieler auf Futtersuche. Dramatisch wird das Spiel, nachdem eines der Jungen entführt wurde. Ein etwas trauriges, aber eben auch berührendes Spiel. 

Es geht in Hogwarts Legacy (Warner Bros.; für Switch, Playstation 4 und 5, Xbox Series X und X/S; ca. 65 Euro) auch mal ohne Harry Potter. Als jungen Magier oder junge Hexe geraten die Spielenden an einen magischen Ort, der weit in der Vergangenheit liegt. Dort gibt faszinierende Zaubersprüche, Tränke, Quests und tolle Aufgaben. Es wird gedacht, gerätselt und gekämpft. 

Dungeons of Dreadrock (Christoph Minnameier, App für iOS und Android, kostenlos, In-App-Käufe, ca. 2 Euro) ist ein wunderbares Retrospiel mit dem Ziel den »King Of The Mountain« zu besiegen. In jedem Level wartet ein mehr oder weniger knackiges Rätsel. Ein bisschen düster, ja, aber so muss es im Dungeon auch sein.

Literatur im Spiel: To Hell With The Ugly (USK 16)

Das Spiel mit dem drastischen Titel basiert auf dem nicht minder freundlichen Romantitel »Wir werden alle Fiesen killen« des Kultautors Boris Vian. Zu Lebzeiten mit dem Schriftsteller Raymond Queneau und dem Komponisten Darius Milhaud befreundet, schrieb er tagsüber schrille Romane und spielte am Abend die Jazztrompete. Nun hat der Fernsehsender Arte ein sehr stylisches Adventure entwickelt, das sich recht nah an Handlung und Figuren des Buches hält. Der Abend des selbstverliebten Rock Bailey in der Jazzkneipe endet nicht unbedingt romantisch. Nun müssen die Spielenden einerseits Detektivarbeit leisten, dürfen aber auch keiner körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Das und die Vian’sche Schlüpfrigkeit trug dem Titel wohl seine USK 16 ein. 

ARTE France; für PC, Nintendo Switch, 
Playstation 4 und 5 und Xbox Series X/S; 19,90 Euro

Thomas Feibel (www.feibel.de) ist der führende Journalist in Sachen »Kinder und digitale Medien« in Deutschland. Der preisgekrönte Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin und publiziert für Der Spiegel, Stiftung Warentest, c‘t, Stafette, Dein Spiegel und viele andere mehr. Er arbeitet für das Deutschlandradio, den WDR und das RBB-Fernsehen. Bei Carlsen erschien das Kindersachbuch »Mach deinen Medienführerschein« und der Roman »hAPPy, der Hund im Handy«. Im August 2023 kam der Medienführerschein zusätzlich als Mitmachbuch heraus. Gleichzeitig erschien »Mach deinen Medienführerschein: Dein Smartphone«. Seit 2002 gibt Feibel den deutschen Kindersoftwarepreis TOMMI (www.kindersoftwarepreis.de) heraus. Neu ist der Schnupper-TOMMI, der sich nur mit Apps an kleinere Bibliotheken im ländlichen Raum wendet. 2022 haben 4 600 Mädchen und Jungen in 56 Bibliotheken in Deutschland Österreich und der Schweiz teilgenommen. Die Verleihung fand zum dritten Mal im KiKA in der Sendung »Team Timster« statt.

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