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Eine Institution unter Druck

Der Bücherbus in der Mobilitätswendeschleife: Ein persönlicher Blick auf Fahrbibliotheken, über den Rückgang der Bücherbusse in Deutschland und die Konsequenzen.
Spanische Fahrbibliothek, aufgenommen nahe Barcelona.
Ein Bücherbus ist nahe Barcelona unterwegs. Das Modell der mobilen Versorgung geht in Spanien auf die 1970er-Jahre zurück, um das Fehlen der Bibliotheken in den Stadtteilen großer Städte und kleiner Ortschaften zu kompensieren. Foto: Bibliotecavirtualxbm (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bibliobús_Tagamanent.jpg), »Bibliobús Tagamanent«, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

 

Der Rückgang der Bücherbusse hierzulande hat viele Ursachen – und gravierende Konsequenzen. Lutz Steiner kennt die Branche seit Jahren, kommentiert für BuB die aktuelle Situation und ruft dazu auf, die Chancen mobiler Bibliotheken besser zu nutzen.

Über die Reduzierung von Emissionen – CO2 allen voran – braucht man nicht zu diskutieren. Sie ist überlebensnotwendig. Bücherbusse machen bei den Emissionseinsparungen mit. In jüngster Zeit verstärkt. Weil immer weniger davon unterwegs sind. Wenn die Zeiten hart sind, ist der Rotstift nicht weit. Und so schrumpft weiterhin der Bestand, Hand in Hand mit der ebenfalls dahinschmelzenden Lesekompetenz. 

Andere Branchen sind besser aufgestellt. So rechnet die zivile Luftfahrt mit einer Verdoppelung der Passagierzahlen bis 2040. Aus der ganzen Welt gehen gerade Hunderte von Flugzeugbestellungen bei Airbus ein. Nicht anders beim Wettbewerber Boeing. Vor nicht allzu langer Zeit noch ein Sorgenkind. Lieferzeit bei Bestellung heute: wegen hoher Auslastung frühestens 2029. Je nach persönlichem Standpunkt sind das gute Nachrichten. Der Treibstoff für den Höhenflug: noch für Jahrzehnte Kerosin. 

Eine weitere gute Nachricht ergibt sich zwangsläufig; da sich Kerosin nicht isoliert aus dem Erdöl destillieren lässt, wird die Tankfüllung mit Propan, Butan, Benzin, Diesel oder Schweröl auch mittelfristig gewährleistet sein. Viel Kerosin bedeutet automatisch großzügige Mengen aller anderen Destillate. Der Bücherbus kann also noch lange mobil sein. Die Energiewende muss warten.

Nun soll aber der Bibliobus, sofern noch Neuanschaffungen getätigt werden, möglichst elektrifiziert unterwegs sein. Dagegen ist nichts einzuwenden. Solange sich der Kämmerer findet, der für eine so innovative Neuanschaffung eine Million Euro netto übrig hat. Im Vergleich zum konventionellen Bücherbus beinahe eine Verdoppelung. Oder der gleich nochmal mindestens 50 Prozent draufpackt, damit es ein Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebener Bus werden kann. Ein Konzept allerdings, bei dem zu befürchten ist, dass ihm der Strom und das Frischwasser noch ausgehen wird, bevor es richtig Fahrt aufnehmen kann. Von beidem wird für den Betrieb eines solchen Fahrzeugs reichlich und teuer benötigt. 

Im Gegensatz zu privaten PKWs oder auch dem ÖPNV, bei denen auch nicht zwingend ressourcenschonende Zukunftsträume oft generös subventioniert werden, wird der innovative Antrieb eines Bücherbusses in der Regel nicht bezuschusst. Die Konsequenz in vielen Fällen: Statt Weiterbetriebs oder gar einer Neuanschaffung des Bücherbusses droht die Stilllegung. 

Die Diskussion um die Antriebe heute zu beschaffender Bücherbusse führt zu Verunsicherung. Entscheidungen werden im glücklichen Fall vertagt – und im unglücklichen die Schließung der Institution beschlossen. An einer echten und umfassenden Mobilitätswende üben wir derweil noch. 

Wozu dieser Exkurs? Ganz einfach, weil er entscheidende Unterschiede zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit bei einem Thema aufzeigt, welches den Bücherbus unmittelbar betrifft. Oder; verschärft, verkürzt: Wie man doch geneigt ist, sich für dumm verkaufen zu lassen, wenn man nicht aufpasst oder nachdenkt. Oder nicht aufpassen kann, weil man es nicht gelernt hat. Dort, wo der Bücherbus ansetzt. 

Demokratie auf dem Rückzug?

Die Mobilitätswende in ihrer derzeitigen Form betrifft den Bücherbus und alle, welche ihn nutzen oder auch dringend nutzen sollten. 25 Prozent funktionale Analphabeten unter den Viertklässlern. Die Demokratie auf dem Rückzug? Beides leider keine Fiktion, sondern aktuelle Wirklichkeit. Wir wissen das. 

Gegen Leseschwäche helfen Bildungsangebote. Niederschwellig und von den Kindern akzeptiert, sehnlich erwartet oftmals. Bücherbusse!

Der bei elektrischen Fahrzeugen angewandte Rechentrick ist, dass – egal, wie groß, wie schwer –, der Schadstoffausstoß auf der Straße beginnt und auf diese Weise selbst wahre Kolosse als Null-Emittierende ausgewiesen werden.

Bei den Fliegern tröstet man sich damit, dass die nächste Generation bis zu 25 Prozent weniger Kerosin verbrauchen wird als der derzeitige Bestand. Dass dieser Effekt durch den Altbestand und die größere, absolute Zahl mehr als aufgefressen wird; geschenkt!

Noch etwas fällt auf; es richtet sich auch die Mobilitätswende bevorzugt an diejenigen, die es sich leisten können; das E-SUV wie die teuren Flüge. Mobilitätswende für diejenigen, die mobil sind.

Das Großteil der Klientel der Bücherbusse kann sich all das nicht leisten. Die Busse fahren bevorzugt die Glasscherbenviertel an. Benachteiligte Quartiere in der Stadt und Regionen auf dem Land. Die, weil nicht rentabel, gerne abgehängt werden. Und Bücherbusse stillgelegt.

Diese Stilllegungswellen haben eine lange und unglückliche Tradition. In den Nullerjahren grassierend beispielsweise in Nordrhein–Westfalen. Köln reduzierte von fünf Bussen auf einen, Dortmund legte gleich alle vier still. Dasselbe passierte mit den Fahrzeugen in Oberhausen, in Krefeld, Bochum, Solingen, später in Düsseldorf und Soest. Um ein paar Beispiele zu nennen. 

Es fällt niemand tot um, wenn ein Bücherbus stillgelegt wurde. Vielmehr klimpert das vordergründig eingesparte Geld sofort in der Tasche. Und kann im Bedarfsfall Karrieren beschleunigen. Immer in Legislaturperioden gedacht. Denn dass Sparen an der Bildung auf lange Sicht teuer ist, dürfte allseits bekannt sein. Auch, dass die Kompetenz im Lesen und Schreiben in den betroffenen Städten und Regionen nachgelassen hat. 

Nun droht die nächste Welle der Schließungen, weil neue Fahrzeuge mindestens elektrisch sein sollen. Was sich wiederum niemand leisten kann oder will. Die jetzt anlaufende, neue Schließungswelle trifft die Institution Bücherbus hart. 

Bücherbusse werden von Menschen abgeschafft, die die niederschwellige, effiziente Institution nicht kennen. Die nie erlebt haben, wie Kinder begeistert in diese Bildungseinrichtung gestürmt sind. Weil von einstmals knapp 200 Fahrzeugen nur noch 94 übrig sind, die Lücken größer werden, gibt es immer mehr Personen an entscheidenden Schaltstellen, die einen Bücherbus nie kennengelernt haben. 

Und wie so oft, wird bei ausgedünnten Populationen die Reproduktion zum Problem. Als ein Bücherbus oder mehrere zu einer Großstadt noch einfach dazu gehörte, auch zu zahlreichen Landkreisen, gab es ebenso zahlreiche Anbieter professioneller Fahrzeuge. Inzwischen sind es nur sehr wenige. Möglicherweise bald keine mehr, weil es sich für die Hersteller nicht mehr rechnet. Kein neuer Bücherbus, selbst wenn man noch einen wollte. Eine Bildungseinrichtung in der Krise. 

Erstaunlicherweise bleibt das eingesparte Geld in Erinnerung. Nicht das draufgegebene Bildungsangebot. Nicht die enttäuschten Kinder. Nicht die schleichend nachlassende Lesekompetenz. 

Das Comeback eines eingestellten Bücherbusses hat es noch nie gegeben. Neueröffnungen seit Jahrzehnten nicht.  

Erfahrungen mit Elektrisch

Elektrisch in die neue Zeit; wie macht sich denn so ein Bücherbus, wenn der hohe Preis mal bezahlt ist? Ein paar Beispiele in praktischer Anwendung gibt es immerhin schon. 

Unbestritten klappt das Fahren sehr gut und ist E-Antrieb-typisch effizient. Bei Bücherbussen kommt noch hinzu, dass der überwiegende Kurzstreckeneinsatz den elektrischen Antrieb im Wortsinne kalt lässt. Auch ist die Reichweite bei der neuesten Generation von Batterien in den meisten Einsätzen kein gravierendes Problem mehr. 

Das Heizen erfolgt in manchen Fällen noch fossil und entspricht natürlich nicht der reinen, elektrischen Lehre. Andererseits ist die Umwandlung von in Batterien gespeichertem Strom in Wärme kein wirklich effizientes Konzept. Mittlerweile jedoch sind die Batterien so leistungsstark, dass auch mit Strom geheizt werden kann. 

Bislang sind alle elektrisch betriebenen Bücherbusse umgebaute Stadtbusse, welche, verglichen mit Spezialfahrzeugen, sehr viel schlechter isoliert sind. Der energetische Aufwand für das Heizen und Kühlen der Innenräume ist dadurch mindestens doppelt so hoch. 

Einen Großteil ihrer Nachhaltigkeit generieren Bücherbusse daraus, dass sie, gut gepflegt, 30 oder auch noch mehr Jahre im Einsatz stehen können. Und das in vielen Fällen auch tun. 

Es ist eher unwahrscheinlich, dass jetzt verfügbare elektrische Bücherbusse so lange durchhalten werden wie ihre Vorgänger. Der Lebensdauer bestimmt nicht zuträglich ist auch die Tatsache, dass elektrische Busse wegen des befürchteten, unkontrollierbaren Brandverhaltens der Lithium-Stromspeicher vielerorts nicht in Garagen einfahren dürfen – also jahraus, jahrein voll bewittert draußen stehen müssen.

Die Batterien selbst haben ihre Wohlfühltemperatur. Müssen also bei Bedarf beheizt oder gekühlt werden. 24 Stunden, 7 Tage die Woche, in der Weihnachtspause, in den Sommerferien und zu anderen Stillstandszeiten. Der Dieselbus hingegen verbraucht, einmal in der Garage abgestellt, zunächst mal keine Energie. 

Wie überall in der aktuellen Debatte wird klar, dass es keine einfachen oder gar Patentlösungen gibt. Stand der Dinge ist auch, dass ein wirklich brauchbarer, elektrisch betriebener Bücherbus noch auf sich warten lässt. Die jetzigen sind in der Gesamtenergiebilanz keinesfalls günstiger, als die konventionellen Busse. 

Die Zukunft des Bücherbusses

Bücherbusse machen Menschen Freude, kommen ihnen entgegen. Holen sie ab. Das Lernen mit ihnen macht Spaß. Spaß auch, der das Leben lebenswert macht. Sie sind flexibel und mit anderen, attraktiven Lernangeboten kombinierbar. Die Busse vermeiden PKW-Fahrten, sie sind ein freundliches Bildungsangebot. Kinder werden  angeleitet, mit geliehenem Gut sorgsam umzugehen. Ressourcen werden mehrfach genutzt und nachhaltig geschont. 

Der Bücherbus besteht also jede Verkehrs- und Energiewende!
Sollte diese eines Tages, dem Gebot der Stunde folgend, ernsthaft umgesetzt werden, braucht es dafür kluge, gut ausgebildete Köpfe. Das bisschen Betriebsstoff, schlimmstenfalls Diesel, ist gut angelegt. 

Traut euch! Macht mit, macht weiter! Nutzt die Chance Mobilbibliothek und baut sie aus! 

Lutz Steiner, Jahrgang 1960, ist diplomierter Maschinenbauingenieur. Nach Jahren praxisnaher Tätigkeit in der LKW- und Busindustrie wurden Bücherbusse beruflicher Mittelpunkt und Passion zugleich. Er arbeitet derzeit als Produktmanager bei Kiitokori Oy, einem finnischen Hersteller von Spezialfahrzeugen, unter anderem auch Bücherbussen.

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