In der Novemberausgabe 2023 hatte BuB seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf das Thema Share Economy gelegt. Fünf Artikel widmeten sich der Frage warum, wie und mit welchem Ergebnis Bibliotheken nicht nur Bücher, sondern auch andere Gebrauchsgegenstände ausleihen sollten. Einer dieser Artikel wurde von Najine Ameli und mir verfasst.1 Wir gründeten mit anderen die »bib der dinge Bochum«, die aktuell ein Inventar von über 3000 Gegenständen hat.
Im Artikel argumentierten wir, warum nicht private Initiativen, sondern Stadtbüchereien gemeinschaftlich nutzbare Gegenstände aller Art ausleihen sollten und warum dies gerade für Stadtbüchereien künftig wichtig wie sinnvoll wäre. Einige der Argumente fasse ich in diesem Beitrag zusammen, um dann, genau zwei Jahre später, in die zweite Phase überzugehen.
Expertinnen für Verleihsysteme
Werden Bücher digitalisiert, braucht es keine physischen Orte mehr, sondern digitale Plattformen, um E-Books zu verleihen. Diese könnten automatisiert betrieben werden (tatsächlich wird KI mancherorts bereits für den Einkauf neuer Bücher erprobt) und Städte könnten die redundanten Immobilien verkaufen. Obendrein hat sich die Lesekultur in den vergangenen Jahren international gewandelt: Es werden, vor allem in den jüngeren Generationen, weniger Bücher gelesen. Dafür werden vermehrt Informationen über Social Media-Kanäle konsumiert.2 Beide Entwicklungen fordern klassische Bibliotheken existenziell heraus.
Man könnte nun entgegnen, dass Bibliotheken seit Jahrtausenden Bücher verliehen haben, sie aber nur in zweiter Linie Expertinnen für Bücher sind. In erster Linie sind und waren sie immer schon Expertinnen für Verleihsysteme. Und hier haben Bibliotheken eine Zukunft, in der sie zugleich als Orte des öffentlichen Lebens erhalten bleiben können.
Stadtbüchereien haben im frühen 21. Jahrhundert mit der Erweiterung ihres Inventars experimentiert und (Brett-)Spiele, Hörbücher und andere Medien verliehen. Das erschloss ihnen neue Nutzerkreise. In Zeiten globaler Umweltprobleme könnten Bibliotheken einen noch größeren Beitrag leisten, indem sie ihr Inventar abermals vergrößern und so die gemeinschaftliche Nutzung von Dingen in die Mitte der Gesellschaft platzieren.
Alle Gesellschaften brauchen soziale Innovationen, um ihren »ökologischen Fußabdruck« zu verringern. Die Energiewende wird hierzu allein nicht ausreichen. Es kommt auch auf eine Ressourcenwende an und diese zielt neben der Realisierung einer echten Kreislaufwirtschaft auch auf die Reduktion des Rohstoffverbrauchs. Beides macht eine Gesellschaft zudem weniger abhängig von Rohstoffimporten und damit geopolitisch resilienter. Zudem kann man Bibliotheken der Dinge als ein sozialstaatliches Element begreifen, das die soziale Ungleichheit eindämmt, die im Zuge der bevorstehenden Automatisierungswelle, noch größer werden könnte.
Stadtbüchereien wären für eine solche Innovation prädestiniert. Man kann sie gar als antike, institutionelle Vorreiter der Share Economy bezeichnen. Keine andere Einrichtung der Antike, des Mittelalters und der Moderne hat ihr Eigentum für den gesellschaftlichen Fortschritt mit Fremden geteilt.
Seit dem Erscheinen unseres Artikels hat sich die Transformation von Bibliotheken weiter vollzogen. 2024 verfasste Christoph Höwekamp, ehemaliger Leister der Stadtbücherei Emsdetten, einen Artikel für »ProLibris«, in dem es um die Stärkung der Bibliotheksfunktionen und die Bewältigung von Herausforderungen im 21. Jahrhundert ging.
Höwekamp argumentierte ebenfalls für eine Erweiterung von Bibliotheken zu Bibliotheken der Dinge: »›Leihen statt kaufen‹ − nichts anderes also, als nachhaltiges Verhalten zu ermöglichen, − ist Kern jeden Bibliothekskonzepts.« Er nannte Praxisbeispiele, die das neue Konzept erfolgreich umgesetzt haben und schloss mit den Worten: »Die ›Bibliothek der Dinge‹ ist ein Thema, welches gekommen ist, um zu bleiben. Sie wird die Bibliothekswelt weiter erobern.«3
Vollzieht sich hier der Beginn eines neuen Kapitels in der Bibliotheksgeschichte und in der Konsumgeschichte? Immerhin: Während 2014 in Deutschland nur zwei Stadtbüchereien eine Bibliothek der Dinge anboten, waren es 2024 fast 140, wobei die meisten nach dem Jahr 2020 eingerichtet wurden.4
Diese Bewegung ist jedoch kein Selbstläufer. Verschiedene informelle Gespräche mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Stadtbüchereien in Nordrhein-Westfalen ließen mich vermuten, dass das erweiterte Verleihinventar auch neue Probleme mit sich bringt. Können diese nicht überwunden werden, kann die Bewegung nach einer ersten Phase des anfänglichen Auflebens auch wieder abebben.
Zum Beispiel so: Verliehene Gegenstände verschleißen mit der Zeit, können nicht repariert oder ersetzt werden, das Angebot nimmt wieder ab. Für diese und andere Probleme braucht es folglich Lösungen, damit sich Bibliotheken der Dinge dauerhaft und in möglichst vielen Kommunen etablieren können.
Zur Identifikation der gängigen Probleme und deren Lösungen haben wir 2025 im Rahmen des THALES-Forschungsprojektes eine Umfrage durchgeführt:
Wir versendenten einen aus sechs Fragen bestehenden Fragebogen per Mail an 139 Stadtbüchereien, die neben Büchern auch weitere Gegenstände verliehen, womit die Umfrage eine Vollerhebung ist. Antworten kamen von 34 der angeschriebenen Stadtbüchereien, was einer Quote von 24,4 Prozent entspricht. Dies waren die gestellten Fragen:
Wie viele Gebrauchsgegenstände umfasst die »Bibliothek der Dinge« Ihrer Stadtbücherei? (Schätzung genügt)
Wie/aus welchen Mitteln wurde der Bestand aufgebaut?
Wie ist die allgemeine Resonanz der Nutzer/-innen Ihrer Stadtbücherei zum erweiterten Angebot?
Ist geplant, das Inventar an Gebrauchsgegenständen auszuweiten? Wenn ja, wie? (falls Sie noch keine Idee für Ausweitung haben sollten, schreiben Sie das bitte). Wenn nein, warum?
Angenommen ein Gebrauchsgegenstand wird reparaturbedürftig, wie gehen Sie damit um?
Macht Ihrer Stadtbücherei die »Bibliothek der Dinge« weitere Probleme? Wenn ja, welche?
Den kompletten Artikel mit den Umfrageergebnissen können Sie in der BuB-Ausgabe 11/2025 weiterlesen: als Printausgabe oder in der App.