Dávid Púchovský ist ein ehemaliger Polizeibeamter. Sieben Jahre lang kämpfte er im Netz im Zeitalter multipler Krisen wie Migration, Corona-Pandemie und Inflation gegen Fake News und Desinformation. Nach der vergangenen Parlamentswahl 2023 wurde er, wie zahlreiche andere Fachleute in der Slowakei, von den neuen Machthabern gezwungen, seinen Posten zu verlassen. Sein Gegner wurde nämlich die Regierung selbst.
Seit drei Jahrzehnten ist die Slowakei hybriden Bedrohungen vor allem aus Russland ausgesetzt. Púchovský hat über seine intensive und erfolgreiche Aufklärungsarbeit das Buch »Die Hoax-Republik« geschrieben, in dem es um seine Erfahrungen im öffentlichen Dienst geht, um Falschmeldungen in den öffentlich-rechtlichen Medien sowie im Netz, aber auch darum, dass alle Bürger/-innen für die Wahrheit kämpfen sollen, um die Demokratie im Osten Europas zu erhalten. Denn der slowakische Premierminister Robert Fico kontaminiert seit Jahren den Diskurs mit sprachlicher Gewalt, verbreitet Verschwörungstheorien, Lügen und Halbwahrheiten, beschimpft politische Gegner und kritische »Presstituierte«.
Ob Proteste gegen Corona-Maßnahmen, die globale Migration, steigende Inflation oder der russische Krieg gegen die Ukraine: Fico nutzte die zahlreichen Krisen für sein großes Comeback und wurde im Oktober 2023 das vierte Mal zum Regierungschef gewählt.
Im digitalen Zeitalter hat sich Fico zum politischen Influencer verwandelt. Seine Online-Monologe dominieren auf fast allen Online-Kanälen. Er will einen autoritären Staat aufbauen, nicht nur regieren, sondern ein Regime etablieren. Dazu braucht er unbedingt die volle Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien, die die Regierung derzeit zerschlägt und rasant zu Propaganda-Sendern umbaut. Die Oppositionsparteien sprechen von einer unerhörten Arroganz seiner Macht und von immer mehr autoritären Eingriffen.
Ähnlich starke Affinität zum Internet wie Fico hat seit einem Jahrzehnt auch die slowakische Kulturministerin Martina Šimkovičová. Der digitale Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Nachdem die ehemalige populäre Fernsehmoderatorin vom Privat-TV-Sender Markíza im Jahr 2015 wegen rassistischer Hetze entlassen worden war, startete sie eine neue Karriere als Star der neuen Rechten. Im Netz konnte sie ihr völkisch-nationales Gedankengut frei präsentieren, ihre YouTube-Botschaften erreichten immer mehr Follower. »LGBTQ-Ideologie« als Grund für den Niedergang Europas und das Aussterben der »weißen Rasse«, Kreml-Propaganda über Maidan und Selenskyi, Impfgegnerschaft, lauter Antiamerikanismus, Aufrufe zum NATO-Austritt... Jung, blond, sehr rechts – ihr erfolgreicher Einstieg in die Politik ließ nicht lange auf sich warten.
Cyberangriffe und massive Propaganda
2023 setzte sie Andrej Danko mit weiteren ähnlichen obskuren Online-Stars aus dem ultrarechten Spektrum auf die Wahlliste der schwachen und jahrelang korrupten Slowakischen Nationalpartei SNS in der Hoffnung, so den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Das hat zwar nur sehr knapp geklappt, doch die unwahrscheinlichste aller Ministerinnen wurde geboren.
Dávid Púchovský weiß genau, dass in den Konflikten des 21. Jahrhunderts die Angreifer oft zuerst auf die menschlichen Gehirne zielen – auf Cyberangriffe und massive Propaganda in den neuen Medien und sozialen Netzwerken setzen. Die hybride Kriegsführung in den westlichen liberalen Demokratien und offenen Gesellschaften bedeutet einen ununterbrochen Stream von Falschinformationen, die Beeinflussung des Meinungsklimas und auch die Wahlbeeinflussung aus dem Ausland, um die Gemeinschaft noch tiefer zu spalten und stärker zu polarisieren. Auch darüber wollte Púchovský im Frühjahr 2025 in mehreren slowakischen Bibliotheken reden. Das durfte er aber nicht mehr.
In der Region Zips im Osten des Landes waren schon drei von lokalen Bibliotheken (unter anderem in den Städten Levoča und Poprad) organisierte Veranstaltungen, Lesungen und Podiumsdiskussion über »Die Hoax-Republik« für Schüler/-innen geplant. Nach massivem politischem Druck der neuen Rechten mussten die Bibliotheken alle Termine absagen. Púchovský darf nicht mehr mit den Studierenden reden, »um den unpolitischen Charakter der öffentlichen Einrichtungen zu bewahren«, so die Landesregierung Prešov, die auch vom »politischen Engagement Puchovskýs« sprach. Doch der Autor ist kein Mitglied einer politischen Partei.
Púchovský kommentierte, dass der Landkreis Prešov dem Druck von Politikern der rechtsradikalen slowakischen Republika-Partei nachgegeben habe. Vorsitzender der Republika und Europaabgeordneter Milan Uhrík griff Púchovský und die Bibliotheken in einem viralen Video über »progressive Propaganda« in den sozialen Medien an. Auch Uhríks Parteikollege Milan Mazurek, der 2019 wegen rassistischer Hetze verurteilt wurde, kritisierte die Programmlinie der Bibliotheken, die »Schüler einer Gehirnwäsche unterziehen« wolle, und behauptete Púchovský sei ein »radikaler Regenbogen-Aktivist«.
Nach der Veröffentlichung der beiden Videos kam es zu verbalen Angriffen von Anhängern der Republika-Partei und ebenso zu Drohtelefonaten an die Bibliotheken. Auch Púchovský wurde mit Gewalt bedroht.
Bibliotheken als Ziel des Kulturkampfes
Die Bibliotheken als konsumfreie Orte gelebter Demokratie und des freien Zugangs zu Informationen sind in der Slowakei seit Jahren ein Ziel des Kulturkampfes von rechts. Gegenstand der Auseinandersetzung sind vor allem Fragen von Geopolitik, Identität und Migration. Gleichzeitig bieten die Bibliotheken einen Raum, um gesellschaftliche Verständigung in ziviler Atmosphäre zu ermöglichen. Der Bedarf an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen steigt deutlich. Die Öffentlichen Bibliotheken als niedrigschwellige Räume und als publikumsstärkste Kultureinrichtungen, die von allen Seiten der slowakischen Gesellschaft ein hohes Vertrauen zugeschrieben bekommen, haben hier ein erhebliches Potenzial.
»Die Bibliotheken als Einrichtungen des lebenslangen Lernens sollten sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Das Buch ›Die Hoax-Republik‹ hat uns interessiert, weil wir wissen, dass es für viele Menschen heutzutage sehr schwierig ist, sich im Meer der Informationen zurechtzufinden. Wir hielten es für angemessen, dass ein Autor, der sich seit vielen Jahren mit diesen Inhalten beschäftigt, dieses Thema unserem Publikum vorstellt. Die jungen Menschen sind heutzutage sehr verletzlich«, erklärte Jana Dolanská, die mutige und engagierte Direktorin der Bibliothek in Levoča.
Noch im März 2023 verlief der »Monat der slowakischen Bibliotheken« unter dem Motto des Kampfes gegen Fake News: »Wir wollen die Bibliotheken als einen Ort präsentieren, an dem qualitativ hochwertige Informationen garantiert sind. Infolge der Pandemie gibt es viele Websites und Portale, auf denen ungeprüfte Informationen zu finden sind, und Bibliotheken sollten die Orte sein, die dieses falsche Weltbild korrigieren. Wir wollen den Menschen beibringen, ihre Quellen konsequent zu überprüfen und Fachinformationen zu verifizieren«, erklärte damals Tatiana Babincová, Direktorin der Stadtbibliothek in Ružomberok. Eine solche Programmlinie wäre heute nicht mehr möglich.
Bereits 2024 gab es in der Slowakei ohne Begründung eine Welle von Entlassungen in vielen kulturellen Institutionen wie Nationalbibliothek, Nationalgalerie, Nationaltheater oder Nationalmuseum, die direkt dem Kulturministerium unterstellt sind. Betroffen sind insgesamt 30 Institutionen. Nur bei vier Einrichtungen arbeitet heute noch die bisherige Führung. Kulturministerin Martina Šimkovičová hat vom ersten Tag im Amt an klargemacht, dass es nur eine rein slowakische Kultur geben soll – und keine andere. Sie hat auch viele Schritte unternommen, um die öffentlichen Fördergelder einzuschränken, von denen Minderheiten oder Andersdenkende profitieren.
Verschwörungstheoretiker in führenden Positionen
Der neue Direktor des slowakischen Literaturzentrums ist ein bekannter Verschwörungstheoretiker, prorussischer Propagandist und Impfgegner. Vielmals wurde bewiesen, dass er in seinen Büchern plagiiert hat, Dutzende Seiten abgeschrieben und Inhalte von anderen Autoren gestohlen hat. Doch sein Profil passt perfekt zum rechtsradikalen Weltbild der Kulturministerin, die er lautstark und treu unterstützt.
Eine transparente Ausschreibung für Direktionspositionen ist zwar immer noch vorgesehen – und war bis dato weit verbreitet –, doch das Gesetz erlaubt auch eine direkte Berufung durch die Kulturministerin. Von dieser Möglichkeit macht Šimkovičová ständig Gebrauch.
Der Generalsekretär des Ministeriums Lukáš Machala glaubt, die Illuminaten nutzen den Islam, um unsere Zivilisation zu zerstören. Diese Wahrheit soll seiner Ansicht nach Putin herausgefunden haben. Und die Amerikaner hätten die Kiewer Maidan-Bewegung angezettelt und in der Ukraine eine »zionistische Marionettenregierung« installiert. Er bezweifelt, dass die Erde rund ist; neulich warnte er auf seinem Telegram-Kanal vor einer außerirdischen Invasion. Das ist leider kein Witz.
Das Kinderkulturzentrum und die Kinderbibliothek Bibiana in der Hauptstadt Bratislava leitet seit einem Jahr eine Nachbarin und enge Freundin Šimkovičovás, die vorher bei einer IT-Firma und als Yogalehrerin gearbeitet hatte. Der neue Chef des Nationalmuseums ist ein Investmentmanager und Experte für »esoterische Selbstmassage«.
Aus Protest haben rund 185 000 Slowakinnen und Slowaken eine Online-Petition unterzeichnet, die ich gemeinsam mit drei Kolleginnen und Kollegen initiierte. Sie fordert den Rücktritt der Kulturministerin – es ist schon der zweite Aufruf, nachdem der erste von Šimkovičová ignoriert und als »Fake« bezeichnet wurde.
In der Slowakei gehen seit Monaten jeden zweiten Freitag zehntausende Menschen für die Demokratie auf die Straße, um sie gegen das Erstarken rechter Kräfte zu verteidigen. Auch der kulturelle Warnstreik dauert schon monatelang an und bedeutet, dass nach fast jeder Theatervorstellung, Lesung in der Bibliothek oder Vernissage das Publikum in kurzen Ansprachen über die aktuellen Ereignisse in der Kulturszene kritisch informiert wird. Die Kultur ist zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema in der Slowakei geworden.
Die Kulturszene und die ganze Zivilgesellschaft sind weiterhin basisdemokratisch, facettenreich, bunt, vielfältig, höchst aktuell, regional unterschiedlich und so solidarisch wie noch nie. Doch der Premierminister Fico hat alle Demonstrationen als vom Ausland gesteuert bezeichnet.
Die Slowakei ist eine Warnung dafür, was es bedeuten kann, wenn man mit der neuen Rechten koaliert. Sie werden nicht plötzlich milder oder versuchen, tatsächliche Probleme zu lösen. Viele in Österreich und Deutschland sagen jetzt: Lasst die FPÖ oder AfD doch regieren, damit die Leute sehen, dass sie es nicht können.
Ich sage: Bitte, lieber nicht. Kaum eine Öffentliche Bibliothek oder Kunstgalerie, kaum ein Museum oder Theaterfestival haben den Kulturkampf der Ministerin Šimkovičová nach eineinhalb Jahren unbeschadet überstanden. In kurzer Zeit wurden tiefgreifende Änderungen mit langjährigen Konsequenzen in der Kulturlandschaft unternommen. Keine öffentlich geförderte Institution ist frei von der Bevormundung im Zeichen einer gefährlichen Ideologie. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen sollte die demokratiefördernde Bibliotheksarbeit nicht nur weiter gestärkt, sondern auch in ihren Wirkungsgrenzen erweitert werden.
Wie es der österreichische Reporter Martin Pollack klar formulierte: »Was derzeit an kulturpolitischem Kahlschlag in der Slowakei passiert, geschieht gegen uns alle, es geht uns alle an. Er wirkt sich auf uns alle aus.«
Michal Hvorecky (1976) ist Autor, Übersetzer aus dem Deutschen und Kulturarbeiter. Er leitete zehn Jahre die Bibliothek im Goethe-Institut Bratislava. Seit Januar 2025 leitet er die Kulturabteilung der Pressburger Altstadt. Er lebt mit seiner Familie in Bratislava, Slowakei. Auf Deutsch ist sein Roman »Troll« schon in sieben Auflagen erschienen (Tropen/Klett Cotta Verlag). (Foto: Richard Kohler)