Den Möglichkeiten des Podcastings als partizipatives Medium sind kaum Grenzen gesetzt – das gilt auch für den Einsatz in Bibliotheken. Autorin Charlotte Feidicker beschreibt die Erfahrungen mit ihrem Podcast »Über die Benutzung von Bibliotheken« an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) und geht dabei besonders auf dessen partizipativen Ansatz ein.1
Ein Medium, das Spaß macht und den Austausch fördert
Garderobenpflicht und Kaffeebecher – Benutzungsszenen, die inspirieren
Im Oktober 2023 habe ich in der Zentralbibliothek der SUB Göttingen diese Szene beobachtet: Studierende betraten den Lesesaal mit ihren Jacken, Taschen und Mützen. Eine eigentlich gewöhnliche Situation, aber zwei Aspekte waren anders als sonst. Zum einen verhielten sich die Nutzenden völlig anders als ich es zu meiner eigenen Studienzeit gelernt hatte. Damals war es in einer Universitätsbibliothek obligatorisch die Garderobe einzuschließen.
Zum anderen war meine Beobachtungsperspektive neu. Denn zum ersten Mal war ich keine Nutzerin mehr, sondern Bibliotheksreferendarin und somit Mitarbeiterin der Bibliothek. Im Gespräch mit meinen neuen Kolleginnen und Kollegen stellte sich heraus, dass die Abschaffung der Garderobenpflicht während der Coronapandemie kontrovers diskutiert wurde.
Positiv hervorgehoben wurde unter anderem, dass das Thekenpersonal keine oft stressigen Diskussionen zur Beachtung der Garderobenpflicht mehr führen müsse, dass das Facility Management mehr Zeit für andere Aufgaben hätte, anstatt jeden Tag kaputte Schließfächer zu reparieren und dass die unter den Aspekten Brandschutz, Barrieren, Diebstahl und Ästhetik schwer tolerierbaren Berge von Jacken und Rücksäcken bei Überbelegung der Schließfächer in der Klausurenphase nicht mehr existierten.
Negativ angemerkt wurde unter anderem, dass Pausen vermehrt am Platz durchgeführt wurden, was zu mehr Gesprächen und Telefonaten im Lesesaal und somit wiederum einer erhöhten Lärmbelästigung führte und dass die Nutzenden in ihren Taschen Essen und Getränke mit in den Lesesaal brachten, diese dort verspeisten und somit für mehr Müll, Geruchsbelästigungen, schmierige Tische und dreckigen Medien sorgten, was wiederum Mehrkosten durch die Notwendigkeit häufigerer Reinigungen produzierte.
Kurzum: Das Thema stellte sich als nicht ganz einfach dar und bildet – wie ich wenige Wochen später im Fernstudium am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (IBI) der Humboldt-Universität zu Berlin feststellte – viele klassische Themen und Dilemmata aus der Benutzung von Bibliotheken ab.
Kurze Zeit später bemerkte ich, dass sich nicht nur im Gespräch mit den Mitarbeitenden, sondern auch unter den Nutzenden Kontoversen fanden: Vor mir in der Kaffeeschlange im »Café SUB«, das direkt an die Zentralbibliothek anschließt, hatten sich zwei Studenten gerade einen Kaffee im To-Go-Becher gezogen. Daraufhin schlug der eine vor, einen Deckel für den Becher mitzunehmen. Doch der andere lehnte ab, mit dem Verweis auf Umweltschutz durch Plastikmüllvermeidung. Der erste stimmte zwar grundsätzlich zu, erklärte aber, dass in diesem Fall andere Argumente überwiegen würden. Schließlich könnte es ohne Deckel leichter passieren, dass der Kaffee überschwappen und den Teppich des Lesesaals, die Möbel oder Medien verschmutzen würde – Argumente, die auch aus dem Mund meiner Kolleginnen und Kollegen hätten stammen können.
Insgesamt diskutierten also die Mitarbeitenden und die Nutzenden jeweils für sich über Benutzungsszenarien in ihrer Bibliothek und daneben lief gleichzeitig eine Fachdiskussion. Diese parallel laufenden Diskurse wurden jedoch nicht miteinander in Beziehung gesetzt – und genau das wollte ich ändern, um hoffentlich für ein besseres Verständnis zwischen den Nutzenden und Mitarbeitenden zu sorgen. So war die Idee für den Podcast »SUBTEXT – Über die Benutzung von Bibliotheken« geboren.
Von Information bis Entscheidungsmacht – Die Stufen der Partizipation
Um die verschiedenen Perspektiven einbeziehen und abbilden zu können, braucht es partizipative Formate. Gängige Partizipationsschemata beschreiben verschiedene Stufen der Partizipation. Als Vorstufen werden Information, Anhörung und Einbeziehung bezeichnet, während Mitbestimmung, teilweise Entscheidungskompetenz und Entscheidungsmacht echte Partizipation darstellen.
Der Podcast eignet sich gut, um Nutzende und Mitarbeitende über Benutzungsthemen zu informieren, ihre Fragen und Themen anzuhören und diese in die Gestaltung der einzelnen Folgen einzubeziehen.
Besonders gut eignen sich dazu Mini-Interviews oder Umfragen sowie die Verarbeitung von eingesendeten Fragen oder Meinungen. Jedoch hat es sich als schwierig herausgestellt, einen stabilen Kommunikationskanal zu den Nutzenden zu etablieren. Leichter war es, partizipativ mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu kommen. Etwa haben teilweise Kolleginnen und Kollegen durch Vorschläge mitbestimmt, welches Thema in einer Folge behandelt werden soll und konnten insbesondere in Interviewformaten selber entscheiden, welche Inhalte sie besprechen möchten.
Informationsaustausch: Fragen, Verhalten und Tipps im Bibliotheksraum
Zentrale Kontaktpunkte für die Nutzenden zu ihrer Bibliothek sind Ansprechpersonen an den Theken, die Webseite der Bibliothek oder die telefonische und E-Mail-Auskunft. Hier laufen konkrete Fragen zur Nutzung der bibliothekarischen Services zusammen. Die Räumlichkeiten funktionieren subtiler: Neben der oft verklausulierten Benutzungsordnung und explizit warnenden – aber oft überlesenen – Schildern ist es vor allen Dingen die Raumatmosphäre selbst, die Verhaltensmöglichkeiten eröffnet und sozial billigt.
Ein offener Eingangsbereich mit hohen Decken, diversen Laufwegen und Sitzmöglichkeiten lädt etwa auch dazu ein, sich zu treffen, zu unterhalten und zu telefonieren. Gleichzeitig ermahnen sich die Nutzenden gegenseitig zur Ruhe in einem kleinen, abgeschiedenen Raum, der durch linear angeordnete Arbeitsplätze strukturiert ist. Den Raum zu lesen und zu verstehen ist nicht immer einfach und divergierende Interpretationen führen häufig zu Missstimmungen zwischen Mitarbeitenden und Nutzenden. Ein Podcast bietet als Medium des Austausches die Möglichkeit, räumliche Gegebenheiten zu erörtern sowie Fragen zur Nutzung zu stellen und zu beantworten.
Von verschwundenen Tischen …
Besonders deutlich wird dies etwa in Folge vier »Orange sehen – Lernraumgestaltung in der BBK«.
Hier fragt eine Nutzerin plakativ: »Was ist mit den Tischen passiert?«, während ein anderer Nutzer erläutert, dass besonders schöne Lernplätze mit Blick ins Grüne und der Möglichkeit ein Fenster zu öffnen, verschwunden seien. Dies führte zur Verärgerung auf Seiten der Nutzenden, stellte sich als Problem jedoch nicht ausreichend dringlich dar, um eine entsprechende Frage an der Theke zu stellen. Der Podcast bietet an dieser Stelle ein alternatives, für manche Personen gegebenenfalls niedrigschwelligeres Format, um Fragen zur Bibliotheksbenutzung zu formulieren.
Gemeinsam mit einer Kollegin aus der betroffenen Bereichsbibliothek Kulturwissenschaften nutzte ich die Gelegenheit, um verschiedene Lernmöglichkeiten und Services dieses Standortes vor Ort zu erkunden und an passender Stelle zu diskutieren, warum die gefragten Tische nicht mehr vorhanden waren: Nach einer Brandschutzbegehung mussten die Tische entfernt werden und es wurden an anderer Stelle ähnliche Arbeitsplätze eingerichtet.
Neben der sachlichen Ebene, einer Erklärung sowie dem Verweis auf andere Arbeitsplätze, ist hier ein weiterer Aspekt interessant: Die Kollegin hat ausgedrückt, dass auch sie über den Wegfall der Tische traurig ist. Mit dieser emotionalen Ebene wird die zunächst als Konflikt wahrgenommene Situation zu einem gemeinsam getragenen »Trauerfall«, der es leicht macht, die bereitgestellte Lösung in Form von neuen Arbeitsplätzen anzunehmen.
… und geklauten Scanzelten
Die Idee für Folge zwei »Das magische Scanzelt« entsprang der Tatsache, dass drei neu angeschaffte Scanzelte der Firma Transkribus nur sehr geringfügig genutzt wurden. Mithilfe der Podcast-Folge wollte ich erklären, wie diese Zelte funktionieren und warum sie insbesondere für die Digitalisierung von historischem Material von Vorteil sein können, wenn eine anschließende Anwendung von automatisierter Optical-Character-Recognition und Handwritten-Text-Recognition geplant ist.
Doch das Thema wurde größer – denn eines morgens war das Zelt verschwunden, wahrscheinlich geklaut. Neben Diskussionen darum, wer das Zelt zuletzt gesehen hatte, wie es besser gesichert aufgestellt werden könnte und ob es sinnvoll wäre, ein neues Zelt anzuschaffen, wurde deutlich: Die Mitarbeitenden fühlten sich in ihrer Mühe und Motivation ein positives Bibliothekserleben für die Nutzenden zu schaffen, technische Neuerungen zu präsentieren und den Nutzenden Vertrauen entgegenzubringen, getäuscht und verletzt.
Diese Gefühle haben das Zelt zwar nicht zurückgebracht, aber für ein gutes Arbeitsklima hilft es, wenn auch Frust und Enttäuschung ihren Platz haben dürfen. In der Folge habe ich das Thema darum angesprochen, um die Nutzenden dafür zu sensibilisieren. Ob diese Maßnahme Erfolg hatte, lässt sich allerdings nicht sagen. Das Zelt bleibt bis heute verschwunden.
UX-Methoden als Möglichkeit der Mitgestaltung von Bibliotheken
In vier Folgen habe ich User-Experience-Methoden (kurz: UX-Methoden) im Rahmen des Podcasts angewandt oder diese dokumentiert. Diese Methoden zielen darauf ab zu erfahren, wie Nutzende die Raum- und Serviceangebote einer Bibliothek wahrnehmen, an welcher Stelle die Nutzung intuitiv funktioniert oder Fragen aufwirft sowie welche Angebote auf welche Weise verbessert werden könnten.
Da Bibliotheksmitarbeitende zwangsläufig eine professionelle und informierte Perspektive einnehmen, können sie die Wahrnehmung der Nutzenden nicht von selbst erschließen. Sie sind auf Rückmeldungen der Nutzenden sowie deren aktive Teilnahme an Methodenangeboten angewiesen. Diese zu dokumentieren und zu kontextualisieren erhöht wiederum die Motivation der Nutzenden zur Teilnahme und erweckt den Eindruck, dass sich die Bibliotheksmitarbeitenden ernsthaft mit den Anliegen der Nutzenden beschäftigen. Der Podcast bietet dazu eine niedrigschwellige, interaktive und zeitlich flexibel anpassbare Kommunikationsform, wie die folgenden drei Beispiele verdeutlichen.
Folge fünf »Digital? Kreativ! Raumgreifend. Das DCS in der ZB« beschäftigt sich etwa mit dem seit 2022 in der Zentralbibliothek existierenden Digital Creative Space: einem Raum, der sich durch Loungemöbel auszeichnet, die individuell angeordnet werden können und unter anderem mit Smart Boards und Bildschirmwänden zu Gruppenarbeiten mit digitalem Fokus einlädt.
Anlass für eine Podcast-Folge über diesen Raum war, dass neue Möbel angeschafft werden sollten und eine Kollegin Kommentarwände aufstellen wollte, um den Möbelbedarf der Nutzenden zu ermitteln.
Im Podcast haben wir uns über die Entstehung des Raums sowie Probleme mit den Möbeln unterhalten und anschließend die Kommentarwand erklärt und beworben. Anschließend habe ich im Raum Kurzinterviews mit den Nutzenden durchgeführt und gefragt: »Worauf sitzt du gerade?« und »Warum sitzt du da?«. Die Aussagen dokumentieren ein vielfältiges Bild der Nutzungsszenarien des Raumes sowie Arbeitsgewohnheiten der Nutzenden und entsprechen den aktuellen lernraumtheoretischen Entwicklungen hin zu multifacettierten, selbst gestaltbaren und zonierten Bibliotheksräumen.
Die Nutzenden konnten ihre Meinung einbringen und haben den Eindruck gewonnen, an der Gestaltung des Raumes partizipieren zu können. Gleichzeitig haben die Mitarbeitenden wertvolle Informationen für eine sinnvolle Anschaffung neuer Möbel erhalten.
In Folge sechs »Love Letter & Leitsysteme – Öffentlichkeitsarbeit und Bibliothek« kontextualisiere ich gemeinsam mit meiner Kollegin aus der Öffentlichkeitsarbeit die von ihr durchgeführte Love-Letter und Break-up-Letter-Aktion in der Zentralbibliothek.
Bei dieser UX-Methode schreiben die Nutzenden in kleinen Briefen an die Bibliothek, warum sie die Beziehung mit ihr schätzen oder gerne beenden möchten. Sie drücken ihre Meinung emotional aus und thematisieren auf diese Weise positive Erlebnisse, Probleme oder Wünsche, die in einer klassischen Umfrage oft keinen Platz finden. Die Ergebnisse bieten hilfreiche Hinweise zu Verbesserungsmöglichkeiten des bibliothekarischen Angebots.
Wichtig ist, dass insbesondere thematisierte Probleme nicht unbeantwortet stehen bleiben, sondern dass für eine Verbesserung des Kontakts zu den Nutzenden auf diese eingegangen wird. Genau hier setzt die Podcast-Folge an und erklärt, welche Maßnahmen bereits umgesetzt wurden, zeitnah umgesetzt werden oder aus bestimmten Gründen leider nicht umgesetzt werden können.
Anlass für Folge neun »Rad, Fuß oder Van? Ideenlabor zu mobilen Bibliotheksangeboten« war die erste bundesweite Nacht der Bibliotheken am 4. April 2025 und das dazu von mir angebotene Ideenlabor zu mobilen Bibliotheksangeboten. Das Ideenlabor bestand aus verschiedenen Stationen, an denen die Teilnehmenden ihre Wünsche, Ideen und Sorgen zu einem mobilen Bibliotheksangebot sprachlich, schriftlich oder als Bild festhalten konnten.
Die Podcast-Folge dokumentiert die Meinungen der Teilnehmenden. Anschließend diskutiere ich gemeinsam mit einem Kollegen, ob und inwiefern konkrete Vorschläge der Teilnehmenden sinnvoll umsetzbar wären. Auf diese Weise werden auch die Zuhörenden dazu angeregt, über Bibliotheksutopien nachzudenken.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass der Podcast ein Kommunikationsmedium ist, das Spaß macht und den Austausch fördert. Hausintern bin ich mit Kolleginnen und Kollegen über Themen ins Gespräch gekommen, die wir sonst nicht diskutiert hätten, und einige Perspektiven haben auch zu neuen Diskursen und Ideen im Kollegium geführt.
Auch mit den Nutzenden hat ein intensiverer Austausch stattgefunden. Der Podcast bietet die Möglichkeit, spontan Rückmeldungen, Fragen und Meinungen der Nutzenden zum Beispiel durch Mini-Interviews einzuholen.
Die Statistik zeigt, dass jeden Monat etwa 200-mal eine Folge gehört wird. Deutlich wird hier auch, dass Werbung hilft: Nach einem Post auf der Webseite der SUB oder bei Instagram steigen die Aufrufzahlen. Während der diesjährigen BiblioCon, auf welcher ich auch Buttons verteilt habe mit einem QR-Code zum Podcast, haben die Zahlen mit 711 Klicks im Juni und 436 Aufrufen im Juli ein neues Hoch erreicht.
Um zu ermitteln, ob der Podcast auch intensiv von Studierenden – der Hauptnutzer/-innengruppe der SUB – gehört wird und ob die Inhalte einen Einfluss darauf haben, wie sie die Bibliothek wahrnehmen, würde es einer größer angelegten Studie bedürfen.
Interessant wäre es auch, den partizipativen Aspekt des Podcasts noch stärker auszuweiten und Studierende und Mitarbeitende selbst mit dem Mikrofon loszuschicken, um aufzunehmen, was sie interessiert und beschäftigt. Den Möglichkeiten des Podcastings als partizipatives Medium sind kaum Grenzen gesetzt.
Charlotte Feidicker hat Geschichte, Philosophie und Digital Humanities studiert. Sie war im Jahrgang 2023-2025 Bibliotheksreferendarin an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und ist seit Oktober als Koordinatorin des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes an der Verbundzentrale beschäftigt.
1 Am 26. Juni 2025 hat Charlotte Feidicker bei der BiblioCon in Bremen ihren selbst produzierten Podcast »SUBTEXT – Über die Benutzung von Bibliotheken« vorgestellt. Die Folien sind auf dem OPUS-Publikationsserver einsehbar und der Vortrag ist im TIB-AV-Portal zu finden.
