Lokal verwurzelt – weltweit ausgezeichnet

Spektakuläre Architektur verbunden mit einem innovativen Konzept: Die Bibliothek Gabriel García Márquez und das Bibliotheksnetzwerk von Barcelona.
Die freiliegende Holzstruktur des Bibliotheksgebäudes ist mit Glas und Paneelen verkleidet, die wie gefaltete Seiten aussehen. Foto: Antoni Marzal

Die Bibliothek Gabriel García Márquez, eröffnet am 28. Mai 2022, ist die zentrale Bibliothek des Stadtviertels Sant Martí und die 40. Bibliothek im Netzwerk der städtischen Bibliotheken Barcelonas. Sie wurde nach dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez benannt, der von 1967 bis 1974 in Barcelona lebte. Die Bibliothek liegt im Herzen eines lebendigen Arbeiterviertels, dessen ausgeprägter Gemeinschaftssinn in zahlreichen sozialen, bürgerschaftlichen und kulturellen Organisationen zum Ausdruck kommt. Mit ihren 3 429 Quadratmetern Nutzfläche ist die Bibliothek die drittgrößte Öffentliche Bibliothek der Stadt. 

Die Einrichtung ist ebenfalls die erste Bibliothek im Bibliotheksnetzwerk von Barcelona, die nach der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Unterbrechung eingeweiht wurde. Sie ist auch die erste Bibliothek in Katalonien und Spanien, die im Jahr 2023 vom bibliothekarischen Weltverband IFLA die Auszeichnung »Weltbeste Öffentliche Bibliothek« erhielt. Als positiv beurteilte die Jury dabei das markante Design des Gebäudes, seine technische Ausstattung und das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Mit am höchsten bewertet wurde jedoch die tiefe Einbettung der Bibliothek in ihr lokales Umfeld und die Art, wie sie sich aktiv in die sozialen, kulturellen und bildungsrelevanten Strukturen des Stadtviertels einbringt. Bereits vor und auch nach der Verleihung dieser angesehenen internationalen Ehrung wurde die Bibliothek aufgrund der Einzigartigkeit ihrer Architektur und der verwendeten Baustoffe mit mehreren weiteren Preisen ausgezeichnet, darunter der Premis Ciutat de Barcelona 2022, der Premis FAD de Arquitectura 2023 und der Mies van der Rohe Preis für Nachwuchsarchitektur der EU 2024.

Der Erfolg der Bibliothek Gabriel García Márquez ist auch das Ergebnis von mehr als 20 Jahren Arbeit des Bibliothekskonsortiums Barcelona, des Dachverbands, der für die Implementierung und Entwicklung der Bibliotheksservices in der gesamten Stadt verantwortlich ist. Zwei Jahrzehnte nach der Gründung der Organisation verfügt Barcelona nun über ein Netzwerk aus 41 städtischen Öffentlichen Bibliotheken, die fest verwurzelt sind in ihren lokalen Gemeinschaften und einen besonderen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit Schulen und sozialen sowie kulturellen Akteuren in ihren unmittelbaren Nachbarschaften legen. 

 

Architektur

Der Standort der Bibliothek Gabriel García Márquez ist ein abgeschrägtes Eckgrundstück an der Kreuzung der Straßen Concilio de Trento und Carrer del Treball. Architektonisch ist das Gebäude einem Stapel Bücher nachempfunden, die von der Seite zu sehen sind. Die freiliegende Holzstruktur ist mit Glas und Paneelen verkleidet, die wie gefaltete Seiten aussehen. Sie wird von vier großen Fenstern unterbrochen, die strategisch auf die das Gebäude umgebenden Baumkronen ausgerichtet sind. Der Entwurf für die Bibliothek stammt von SUMA Arquitectura unter der Leitung von Elena Orte and Guillermo Sevillano.

Die 3 429 Quadratmeter Nutzfläche der Bibliothek erstrecken sich über sechs Stockwerke, die um ein zentrales Treppenhaus herum angeordnet sind, welches alle Bereiche der Bibliothek miteinander verbindet. Über dieser Haupttreppe fungiert die verglaste Überdachung als Solarkamin, der das natürliche Licht durch das Gebäude bis ins Untergeschoss leitet, das sich zu einem Garten hin öffnet.

Das architektonische Konzept basiert auf einer Ansammlung miteinander kommunizierender Bereiche, was durch das Fehlen von Türen im Gebäudeinneren ermöglicht wird. Ziel ist es, eine »ökosystemische« Nutzung der Bibliothek zu fördern, bei der nach der Beschreibung der Architekten jede Besucherin und jeder Besucher seinen eigenen Platz findet und bei der die Räume so offen und flexibel wie möglich sein sollten und Möbel auf einfache Weise neu arrangiert werden können. Diese räumliche Anordnung wird inspiriert durch das Konzept des »dritten Ortes«, das von dem amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg entwickelt wurde und ein soziales Umfeld beschreibt, das sich vom privaten Zuhause und dem Arbeitsplatz unterscheidet. In dieser warmen und einladenden Atmosphäre, die sich »wie zu Hause« anfühlt, können alle Menschen, die die Bibliothek besuchen, ihr persönliches Ökosystem schaffen. So wird die Bibliothek zu einer Ansammlung von Ökosystemen – ein Raum für die soziale Interaktion, in dem sich jeder heimisch fühlen kann. 

Es ist die praktische Umsetzung dieses Konzepts, die bewirkt, dass sich die Bibliothek Gabriel García Márquez von anderen Bibliotheken im Netzwerk in dreierlei Hinsicht abhebt: die zuvor erwähnten verbundenen Bereiche, die große Menge an informellen Möbeln, die sich über fast alle Etagen der Bibliothek verteilen und die abgesenkte Höhe der Bücherregale, wodurch von allen Orten der Bibliothek aus ein unverbauter Blick auf die Gesamtanlage und gleichzeitig eine bessere optische Verbindung mit dem Außenbereich, einschließlich der das Gebäude umgebenden Bäume, möglich ist. Mit informellen Möbeln sind Möbelstücke gemeint, die nicht unter das Tisch-und-Stuhl-Schema fallen, das man üblicherweise in Bibliotheken antrifft. In der Bibliothek Gabriel García Márquez findet man Armsessel, Puffs, Hängesessel, kleine Teppiche, Sitzkissen und – als Hommage an das Heimatland des kolumbianischen Nobelpreisträgers – eine Hängematte im Karibik-Stil, die zu einem Emblem des neuen Einrichtungskonzepts wurde. Die informellen Möbel machen fast ein Drittel des Bibliotheksmobiliars aus. 

Die Bibliothek integriert auch eine Reihe von nachhaltigen Strategien, die ihr die LEED-Gold-Zertifizierung eingebracht haben, darunter eine angemessene Dämmung und eine Glasfassade mit verstellbaren Schattierungspaneelen, die dank der natürlichen Isoliereigenschaften des Holzes einen hervorragenden Wärmekomfort bieten, ein belüftetes Dach sowie eine hinterlüftete Fassade, um die Wärmedurchgängigkeit zu verringern und Energie zu sparen, die Nutzung von Solarenergie über ein System von Dachpaneelen und die Wiederverwendung von Regenwasser für die Bewässerung der Gebäudevegetation. 

Die Holzkonstruktion stammt aus zertifizierten Wäldern (FSC oder PEFC) und bietet verschiedene Vorteile: Sie verbessert die Nachhaltigkeit, indem sie den CO2-Fußabdruck und die Treibhausgasemissionen reduziert und gleichzeitig den Bauprozess durch die industrialisierte und vorgefertigte Bauweise beschleunigt, um eine optimale Effizienz in Bezug auf Zeit und Kosten zu erreichen. Zudem sind alle in der Gebäudehülle verbauten Materialien recycelbar: Die in den Lamellenpaneelen der Fassade verwendeten Polyurethan- und Glasfaserharze können am Ende ihres Lebenszyklus wiederverwendet oder recycelt werden. All diese Maßnahmen spiegeln die Bereitschaft für ein neues Paradigma der Kreislaufwirtschaft wider.

 

Bestände

Am 31. Dezember 2024 umfasste der Bestand der Bibliothek 47 984 Dokumente. Die Gesamtkapazität vor Ort beträgt 40 000 Dokumente (Doppelexemplare und wenig nachgefragte Bücher stehen im unterirdischen Magazin) und die Materialien werden vorwiegend in Regalen ausgestellt, die deutlich niedriger sind als die üblichen fünfstöckigen Regale, die in den meisten Öffentlichen Bibliotheken der Stadt verbreitet sind. Wie bereits erwähnt, liegt der Grund hierfür darin, eine größere visuelle Offenheit und mehr Komfort im gesamten Bibliotheksbereich zu schaffen. Die Entscheidung für ein derartiges Design hat jedoch noch einen positiven Nebeneffekt: die Vergrößerung der verfügbaren Fläche für eine ansprechende und benutzerfreundliche Präsentation der Dokumente. 

Die Bibliothek Gabriel García Márquez ist auf lateinamerikanische Literatur spezialisiert, mit einem besonderen Schwerpunkt – und das überrascht kaum – auf den Werken des kolumbianischen Nobelpreisträgers. Diese literarische Spezialisierung beeinflusst auch zu einem großen Teil das Programm der Bibliothek: Ein Leseclub widmet sich sowohl klassischen als auch neuen Stimmen der lateinamerikanischen Literatur, ein virtueller Leseclub führt Leserinnen und Leser aus Barcelona und dem kolumbianischen Medellín zusammen, eine Lesegruppe befasst sich mit der Literatur von Migrierten, und gemeinsam mit Casa Amèrica Catalunya wird das lateinamerikanische Literaturfestival KMAmèrica organisiert, das bisher viermal stattgefunden hat.

Aktionsprogramm

Die Öffentliche Bibliothek ist ein Platz für lebenslanges Lernen geworden, an dem sowohl einzelne Benutzerinnen und Benutzer als auch Gruppen sich mehr und mehr gemeinsam mit den Mitarbeitenden der Bibliothek engagieren und schrittweise als Akteure bei der Programmgestaltung mitwirken.  Darüber hinaus hat sich die Bibliothek als eine wichtige soziale Struktur etabliert. Sie ist zu einem in höchstem Maße integrativen und interdisziplinären Beziehungsraum geworden, der allen Bürgerinnen und Bürgern offensteht. Dementsprechend fungiert sie als eine Gemeinschaft von Gemeinschaften – der wirkungsvollste Rahmen für den sozialen Zusammenhalt. 

 

Es ist jedoch wichtig, daran zu erinnern, dass diese gemeinschaftsübergreifende Mitwirkung an dem Bibliotheksprojekt durch das kollektive Engagement für die Leseförderung und die Demokratisierung des Wissens als Instrumente für den sozialen Wandel angetrieben wird. Die in der Bibliothek Gabriel García Márquez durchgeführten Projekte folgen den Hauptaktionslinien des von den Biblioteques de Barcelona geförderten Modells für Öffentliche Bibliotheken: Förderung des Lesens und des mündlichen Ausdrucks, Bildung, Integration und sozialer Zusammenhalt. Diese Grundprinzipien bilden die Basis für unsere drei Hauptarbeitsbereiche: Soziales, Bildung und Kultur. Es wäre unmöglich, hier auf all unsere Leseförderungsinitiativen einzugehen. Daher möchten wir jeweils ein Leuchtturmprojekt aus jedem Bereich hervorheben:

  • Soziales: der Sinnesraum. Diese integrative Umgebung verfolgt ein doppeltes Ziel: Sie möchte die Bibliothek für Menschen mit Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen zugänglich machen und gleichzeitig ein innovatives, erlebnisbasiertes Leseförderungsprojekt initiieren. Dieser Bereich, der speziell für die sensorische Stimulation konzipiert wurde, ist mit Materialien und elektronischen Geräten ausgestattet, die Klänge, Licht und Vibration erlebbar machen. Findet im Sinnesraum eine Aktion zur Leseförderung statt, wird diese auf ganz natürliche Weise zu einem inklusiven Erlebnis, bei dem Kinder mit eingeschränkten sensorischen Fähigkeiten die Gelegenheit erhalten, an den angebotenen Aktivitäten teilzunehmen. Dieses Angebot ermöglicht es Kindern und ihren Familien, Geschichten auf eine erlebnisbasierte Weise zu genießen, die das Lesen inspirierender und zugänglicher macht. 

 

  • Bildung: Ràdio Aula Maconda. Ràdio Maconda, das Bürgerradio des Bibliotheksnetzwerks von Barcelona, ist eine partizipatorische Plattform, die von den Mitarbeitenden der Bibliothek Gabriel García Márquez in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bibliotheken betrieben wird. Es dient drei Hauptzwecken: Erstens wird es als Mittel für die Leseförderung und für Empfehlungen eingesetzt, das allen Mitarbeitenden des Netzwerks zur Verfügung steht. Zweitens unterstützt es die Entwicklung von Radioprojekten, die von und mit der lokalen Gemeinschaft entwickelt werden. Drittens fördert es durch die Initiative Ràdio Aula Maconda die mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit im Zusammenwirken mit der Bildungsgemeinschaft des Bezirks Sant Martí. Dieses Programm wird gemeinsam mit dem Pädagogischen Ressourcenzentrum des Bezirks durchgeführt und lädt bis zu zehn Schulen pro Ausgabe ein. An den drei bisherigen Ausgaben haben fast 800 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Die Teilnehmenden beschäftigen sich sowohl im Hörfunkstudio der Bibliothek als auch im Klassenraum mit dem Schreiben von Drehbüchern und dem Stimmausdruck, sie erlangen die Kompetenz, glaubwürdige und wahrheitsgetreue Informationen zu recherchieren und arbeiten an der technischen Erstellung eines Podcasts. Ràdio Aula Maconda ist ein deutliches Beispiel dafür, wie Bibliotheken zu Schlüsselakteuren bei der Stärkung der Identität Barcelonas als Bildungsstadt geworden sind.

 

  • Kultur: Lateinamerikanisches Literaturfestival KMAmèrica. Die Bibliothek Gabriel García Márquez ist nach dreijähriger Aktivität von der lateinamerikanischen Gemeinschaft Barcelonas als zentraler Bezugs- und Identitätspunkt für die Kultur in der Stadt angenommen worden. Bereits vor der Durchführung spezifischer Projekte und Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der lateinamerikanischen Community in Barcelona haben Biblioteques de Barcelona und Casa Amèrica Catalunya eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben mit dem Hauptziel, die lateinamerikanische Literatur und Kultur in der Bibliothek zu fördern. Nach drei Ausgaben mit jeweils mehr als 2 000 Teilnehmenden hat sich das Festival als Kataloniens führende Plattform für die Präsentation neuer Stimmen in der lateinamerikanischen Literatur etabliert.

Schlussfolgerung

Die Projekte, Aktivitäten und Räume der Bibliothek Gabriel García Márquez spiegeln die Prioritäten des Masterplans 2030 der Biblioteques de Barcelona wider: Die Bibliothek möchte ein Beziehungsraum, ein Treffpunkt und ein Zentrum für gemeinschaftliche Aktionsprogramme sein, um die Kultur und die kulturellen Rechte der Bevölkerung zu stärken, enge Beziehungen zur Welt der Bildung zu knüpfen und lebenslanges Lernen zu unterstützen.

Neus Castellano hat einen Hochschulabschluss in Geografie und Geschichte, ein Diplom in Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Universität Valencia sowie einen Bachelor-Abschluss im Fach Information und Dokumentation der Universität Barcelona. Sie war stets in den Bereichen Dokumentation und Öffentliche Bibliotheken tätig. Sie arbeitete 23 Jahre lang für Biblioteques de Barcelona und leitete ab dem Jahr 2004 zeitweise die Bibliotheken Les Roquetes, Francesc Candel und Xavier Benguerel. Seit der Eröffnung ist sie die Direktorin der Bibliothek Gabriel García Márquez, die 2023 von der IFLA die Auszeichnung »Weltbeste Öffentliche Bibliothek« erhielt. (Foto: Antoni Marzal)

Weitere herausragende nationale und internationale Bibliotheksbauprojekte finden Sie in der aktuellen BuB-Juliausgabe.

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