Anfang Juni – Ankunft am Hauptbahnhof Münster: Drei Kolleginnen aus medizinischen Fachbiblio-theken der ugandischen Universitäten von Kampala und Busitema betreten westfälischen Boden. Mit dabei sind viel Neugier, konkrete Erwartungen und die Bereitschaft zum Dialog. Ermöglicht wurde der Besuch durch ein Stipendium von BI-International, das gezielt den internationalen Fach-austausch im Bibliothekswesen fördert. Die folgenden Tage verlaufen reibungslos. Gespräche, Füh-rungen und Workshops sind professionell, offen und respektvoll – im besten Sinne. Und doch bleibt eine grundlegende Frage im Raum: Wie lässt sich ein Austausch gestalten, wenn die struktu-rellen Voraussetzungen so unterschiedlich sind?
Austausch unter ungleichen Bedingungen

Unterschiedliche Ressourcen, gemeinsame Ziele
Schon der erste Tag macht deutlich, wie unterschiedlich die Ausgangslagen sind. Während den Studierenden in Münster moderne Lernräume, VR-Anwendungen (Virtuelle Realität) und KI-gestützte Tools wie selbstverständlich zur Verfügung stehen, sind Kolleginnen und Kollegen an ugandischen Universitäten oft gezwungen, mit erheblich knapperen Mitteln zu arbeiten.
Open Access – notwendig, aber nicht gleich(-wertig) machbar
Ein Beispiel: Laut des Analyse-Tools SciVal wurden an der Busitema University zwischen 2019 und 2025 über 80 Prozent der Journalartikel Open Access veröffentlicht – nicht allein aus Überzeugung, sondern weil es oft die einzige realistische Möglichkeit ist. Auch an der Makerere University liegt der Anteil ähnlich hoch. Zum Vergleich: An der Universität Münster liegt die Quote im selben Zeitraum bei etwa 59 Prozent. Trotz DEAL-Verträgen und institutioneller Unterstützung ist Open Access bei uns eine von mehreren Optionen – anders als in Ländern, in denen Bezahlschranken den Zugang zu wissenschaftlichem Wissen grundsätzlich erschweren und das Ablegen von Artikeln in Repositorien oft die einzige praktikable Lösung darstellt. Entsprechend groß war das Interesse der Kolleginnen an Möglichkeiten, die Open-Source-Software bietet, um die eigenen Publikationsmöglichkeiten zu erweitern.
Teure Lizenzen – Software als Barriere
Ein noch deutlicheres Bild zeigt sich bei medizinischer Entscheidungsunterstützung: UpToDate, ein evidenzbasiertes Tool für Klinik und Forschung, wurde in Münster in den vergangenen zwölf Monaten über 90 000 Mal genutzt. Damit gehören wir zu den Top-3-Nutzern in Deutschland. Laut internen Daten wurden dadurch über 11 000 klinische Entscheidungen verändert und fast 28 000 in ihrer ursprünglichen Ausrichtung gestärkt.
An der Makerere University in Uganda lag die Zahl der veränderten Entscheidungen bei über 20 000 – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie wichtig dieses Tool auch dort ist. Und doch: Die Lizenz kann nach einer Trial-Phase nicht verlängert werden – nicht wegen mangelnder Relevanz, sondern schlicht aus finanziellen Gründen. Wie uns eine Bibliothekarin berichtet, sind die Lizenzkosten selbst im Vergleich zu den Budgets deutscher Universitätskliniken minimal und trotzdem prozentuell viel zu hoch.
Hier wird konkret sichtbar, was finanzielle Engpässe im Alltag bedeuten. Während Anbieter mit Lizenzeinnahmen aus Nordamerika und Europa den Großteil ihres Umsatzes erzielen, bestehen sie zugleich auf eine Preispolitik, die für Einrichtungen in Ländern mit deutlich kleineren Budgets unerschwinglich sind.
Für die Unternehmen wären vergünstigte Zugänge in vielen Fällen finanziell kaum spürbar – Lizenzgebühren für den Globalen Süden und andere Regionen wirken wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Und doch bleiben sie aus. Dass ausgerechnet dort, wo medizinische Informationssysteme dringend gebraucht würden, der Zugang aus monetären Gründen scheitert, wirft grundsätzliche Fragen zur globalen Preispolitik und Verantwortung von Informationsanbietern auf.
Technologische Entwicklung mit blinden Flecken
Auch im Bereich Künstliche Intelligenz im Bereich der systematischen Literaturrecherche und -analyse sprechen wir viel über Effizienzgewinne – aber noch zu wenig über strukturelle Ausschlüsse. Welche Inhalte fehlen in den Trainingsdaten? Welche Regionen, Sprachen oder Forschungsperspektiven sind unterrepräsentiert? Technologische Innovationen können vieles beschleunigen – doch wenn die zugrunde liegenden Daten vor allem aus westlichen Publikationssystemen stammen, verstärken sie bestehende Ungleichgewichte im Zugang zu Wissen. Ohne gezielte Korrekturen geraten ganze Wissenschaftsräume ins Hintertreffen – nicht aus böser Absicht, sondern weil die globale Vielfalt von Anfang an nicht mitgedacht wurde.
Fazit: Austausch mit Verantwortung
Der Besuch war für beide Seiten bereichernd. Er hat uns nicht nur fachlich inspiriert, sondern auch die Privilegien vor Augen geführt, auf denen unsere Arbeit oft aufbaut: stabile Finanzierung, Zugang zu Ressourcen, Zeit für Weiterentwicklung. Unsere Gäste nehmen neue Impulse mit, aber wir auch, vor allem das Bewusstsein, dass strukturelle Gerechtigkeit nicht automatisch aus dem guten Willen heraus entsteht. Sie muss gezielt in Partnerschaften, Förderlogiken und Lizenzpolitik mitgedacht und umgesetzt werden.
Nils Beese, Jens Unkenholz; Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Medizin-Bibliothek