Im Juli 2024 überlagerte der Taifun Carina den saisonalen Monsun und sorgte für heftigen Regen über der Insel Luzon. In der Hauptstadtregion Metro Manila stürzte eine wichtige Brücke ein, die Marikina Bridge. In Textnachrichten berichtete eine Freundin, deren Weg ins Stadtzentrum über diese Brücke führt, vom stehenden Wasser in ihrer Küche. Eine normale Katastrophe. Unübliche Ausschläge bei Niederschlagsmenge und Sturmstärken sind üblich geworden. Auch jetzt, da ich diesen Artikel schreibe, ist auf den Philippinen wieder Regenzeit, wegen dem Sturm Emong wurden im Norden 24 000 Schulen vorübergehend geschlossen.
Für Bücher war das tropische Wetter schon immer schwierig: Neben der hohen Luftfeuchtigkeit setzen dem Papier Insekten zu. Als ich nach drei Jahren Studium in Manila (1992 bis 1994) in die Schweiz zurückkam, hatten Bücher, die mit mir gereist waren, eine deutlich dunklere Farbe und einen säuerlichen Geruch angenommen. Auf dem Archipel mit seinen rund 7 000 Inseln und rund 110 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fassen leidenschaftliche Leser/-innen nicht nur die Buchrücken in einen Schutzumschlag ein, sie packen die ganzen Bücher in eine Plastikhülle, um die Seiten intakt und blütenweiß zu halten.
Die Stürme Carina und Emong haben ein Vorhaben durchkreuzt, das während Recherchen im Juli 2024 gereift ist: Ich wollte einen ruhigen Text über philippinische Bibliotheken schreiben, also die kontinuierliche Arbeit von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der Stadtbibliothek von Quezon City (der größten Teilstadt von Metro Manila) und einer Gruppe von Freiwilligen am Berg Banahaw beschreiben. Aber auf den Philippinen kommt oft alles anders als geplant. Dafür sorgen nicht nur Stürme, Erdbeben und Vulkanausbrüche, sondern auch Einfallsreichtum, abrupt wechselnde Regierungsprogramme und eine überlastete Verkehrsinfrastruktur.
Wer sich auf den Rhythmus des Landes einlässt, erlebt wunderbare Überraschungen. Von ihnen zeugen Literatur und mündliche Überlieferungen. Der Berg Banahaw, zum Beispiel, ist ein sagenumwobener Ort in der Provinz Laguna. Wander- und Pilgerwege an seinen Abhängen mussten vor einigen Jahren wegen Überlastung geschlossen und repariert werden. Vielbesuchte Höhlen und Altare im Wald zeugen von katholischen Riten, die sich mit vorkolonialen Glaubensinhalten verbinden und mit der Erinnerung an geheime Bruderschaften, die im 19. Jahrhundert gegen spanische Kolonialherren kämpften. José Rizal (1861 – 1896), Romancier, Augenarzt und Nationalheld, wird hier von einigen Gemeinschaften als Heiliger verehrt. Nach ihm ist auch die Gemeinde benannt, in der eine Gruppe von Freiwilligen einen »Book Nook« eröffnet hat.
In Rizal spricht man die Regionalsprache Tagalog, auf der die Nationalsprache Filipino beruht. Ich habe sie während meinem Studium gelernt und später vertieft, um philippinische Literatur ins Deutsche übersetzen zu können. Der Großteil der rund 30 Bücher, die zum Gastlandauftritt an der Frankfurter Buchmesse 2025 auf Deutsch erscheinen, ist im Original jedoch auf Englisch verfasst. Das hat mit der Geschichte zu tun. Nach dreihundert Jahren spanischer und fünfzig Jahren US-amerikanischer Kolonialherrschaft wurden die Philippinen 1946 unabhängig. Englisch ist im Bildungswesen ab der Sekundarstufe, in der nationalen Politik und im Justizwesen dominant geblieben. Die Medienlandschaft teilt sich in einen englischsprachigen Bereich mit dem Anspruch, Qualitätsjournalismus zu bieten, und Regional- und Boulevardmedien in Filipino (Tagalog) und weiteren regionalen Sprachen. Laut der Zählung der staatlichen Kommission für die Philippinische Sprache (Komisyon sa Wikang Filipino) werden im Land insgesamt 130 Sprachen gesprochen, davon sind sieben regionale Verkehrssprachen und zwei Gruppen von kleineren Sprachen in dieser Kommission vertreten.