BookTok ist eine Nische auf der Social Media Plattform TikTok, auf der Nutzende sich über Bücher austauschen, von Büchern inspirierte Kunst präsentieren oder mit ihren Lieblingsautoren und -autorinnen in Kontakt treten. Unter dem #booktok finden sich aktuell auf TikTok über 60 Millionen Beiträge, viele davon mit hunderten bis tausenden Likes und Kommentaren.
Bücher, die auf BookTok viral gehen, verkaufen sich oft in viel höheren Auflagen. Doch bisher wird die Plattform gerade in der Bibliothekspraxis eher kritisch gesehen. Viele ähnliche Bücher in Inhalt und Optik, die in kurzen Abständen erscheinen und die Regale überfüllen. Teilweise sind die Inhalte sehr erotisch und mit Gewalt gemischt, die vielleicht gar nicht in die Bibliothek gehören. Aktuell gibt es eventuell noch zu wenig Lesende für solche Bücher. Außerdem ist der Jugendschutz auch sehr präsent.
Diese Themen soll der Artikel zunächst getrennt voneinander betrachten, um dann die Diskussion für den Umgang mit den BookTok-Büchern zu öffnen.
New Adult: vulgärer Sex in Pastell
Bei all den neuen Liebesromanen, die seit einigen Jahren so beliebt sind und meist von jungen Frauen in den sozialen Medien gehypt werden, werden viele diese hübschen Bücher in Pastellfarben als nicht literarisch anspruchsvoll, aber harmlos abstempeln.
In unserem Webinar aus diesem Frühjahr #BookTok Deep Dive: Von der Theorie zur Praxis in Bibliotheken haben wir Textausschnitte von spicy Szenen präsentiert, um zu zeigen, dass auch diese Bücher bereits sehr ausschweifend und mit vulgärer Wortwahl ins Detail gehen können. Nur weil die Bücher in rosa und babyblau daher kommen, heißt das nicht automatisch, dass sie in den Jugendbereich einer Bibliothek gehören.
Dennoch muss man immer aufpassen, dem New-Adult-Hype nicht Unrecht zu tun: die Bücher, die sich vorwiegend an Frauen zwischen 16 und 30 Jahren richten, wollen ihre Zielgruppe mitreißen und sowohl zum Träumen als auch zum Nachdenken anregen und dabei mit intimen Szenen zwischen den Protagonisten und Protagonistinnen eine intensive Bindung zum Buch aufbauen. Und das schaffen sie mit großem Erfolg.
Häufig ist zudem inzwischen die Rede von »Romance«, die es mit verschiedenen Schwerpunkten gibt, wie beispielsweise Sports Romance, Workplace Romance oder Smalltown Romance. Insgesamt könnte man sagen, dass Protagonisten und Protagonistinnen in als »Romance« bezeichneten Büchern etwas älter sind als bei New Adult, dementsprechend an einem anderen Punkt im Leben stehen und andere Tropes bedient werden, wie #fakemarriage, #singlemom oder #singledad, und die Zielgruppe etwas älter ist. Teilweise werden die Bücher aber auch als »New Adult Romance« bezeichnet und lassen sich nicht unterscheiden.
Dark Romance: Spice auf eigene Gefahr
»Dark« ist ein Liebesroman meist dann, wenn (sexuelle) Gewalt und Verbrechen eine Rolle spielen. Die männlichen Hauptcharaktere sind zum Beispiel mächtige Mafia-Bosse, Auftragskiller, Stalker, darüber hinaus steinreich, wahnsinnig attraktiv, extrem eifersüchtig und besitzergreifend (#morallygrey, #touchheranddie) und häufig ein gutes Stück älter als der weibliche Hauptcharakter (#agegap). Sie ist meistens arm, schutzsuchend, naiv und wunderschön.
Ein wichtiger Faktor bei vielen Dark-Romance-Geschichten ist die Entwicklung, die die beiden Hauptcharaktere durchmachen, indem sie sich aufeinander einlassen. Sie gerät ins Grübeln, verliert ihre Naivität, entwickelt Ehrgeiz und lernt sich selbst besser kennen und für sich einzustehen. Während er durch sie seine weiche und liebende Seite wieder entdeckt, sich verletzlich zeigen kann.
Dass es die Dark Romance inzwischen in die Programme konventioneller Verlagshäuser geschafft hat, ist auf jeden Fall dem enormen Hype auf Social Media, insbesondere TikTok, zu verdanken.
Doch auch bei der Dark Romance gibt es große Unterschiede. Die Endstufe ist wohl »non-consent« (abgekürzt non-con), was bedeutet, dass sexuelle Handlungen ohne Einverständnis stattfinden. Diese Inhalte findet man derzeit noch hauptsächlich bei Selfpublishing-Verlagen und online.
Dark Romance richtet sich in jedem Fall an Erwachsene und gehört nicht in die Jugendbibliothek. Leser/-innen können mit diesen Büchern der Realität entfliehen, aber es muss klar sein, dass es sich um Fiktion handelt.
Jugendschutz: Spice auch für Jugendliche?
Der Begriff »Jugend« wird verschieden definiert – juristisch reicht sie meist bis 17 Jahre, entwicklungspsychologisch und in der Sozialwissenschaft bis weit in die 20er. Eine Jugendbibliothek sollte sich daher zunächst bewusst machen, wer ihre Zielgruppe ist – nur Jugendliche im engeren Sinne oder auch junge Erwachsene. Hat man dies definiert, kann man Erwerbungsentscheidungen aus dem großen Pool der auf BookTok gehypten Titel treffen: bei einer engen Definition (bis 17) fallen alle New Adult Titel (die bei der ekz für gewöhnlich zur Schönen Literatur systematisiert werden und den Interessenkreis New Adult bekommen) weg.
Übrig bleiben nicht wenige Young Adult Titel, also tatsächliche Jugendbücher, die sich durch verhaltene und seltene Sexszenen, häufig mit »Closed-Door«-Technik, auszeichnen. Sobald es zur Sache geht, endet das Kapitel oder die tatsächliche Erotik wird nicht abgedruckt, sondern online als Zusatzmaterial zur Verfügung gestellt. Nur selten gibt es explizite Szenen im Jugendbuch – hier dann zumeist mit Verhütung, klarem Einverständnis, einem romantisierten Kontext und liebevollerer Sprache.
Natürlich gibt es auch genügend Jugendbücher ohne Erotik auf Social Media – doch über die Eignung dieser Bücher für die Jugendbibliothek muss nicht diskutiert werden. Da jedoch gerade Jugendliche heutzutage ihre Buchempfehlungen von Social Media bekommen (Plattformen, auf denen keine altersbezogene Zugangskontrolle stattfindet), besteht eine hohe Nachfrage nach New Adult Titeln in der jungen Zielgruppe.
Um diese Nachfrage abzudecken, bietet sich ein gemischter Bereich an. Bücher mit einer Altersempfehlung ab 14 oder 16 bis hin zu den pastelligen New Adult Titeln stehen gemeinsam im Regal. Gegebenenfalls mit einem Hinweis zum erotischen Inhalt auf dem Buch. Hier verlegt man die Verantwortung auf die Lesenden – sie müssen selbst entscheiden, wie viel sie sich zutrauen und vielleicht auch mal ein Buch zur Seite legen.
Aber darf eine Bibliothek das? Rein rechtlich stehen Bibliotheken in keinerlei Verantwortung, den Jugendbestand frei von erotischen Inhalten zu halten. Solange das Jugendschutzgesetz eingehalten wird (und das wird es, solange keine indizierten Titel im Freihandbestand stehen), sind die Eltern in der Aufsichtspflicht und dürfen entscheiden, was ihr Kind lesen darf und was nicht.
In der Praxis ist das manchmal schwer umzusetzen: Stehen Erziehungsberechtigte mit vermeintlicher Schundliteratur an der Infotheke und wollen eine Rechtfertigung, reicht die rechtliche Sichtweise gefühlt nicht aus. Über hinterlegte Altersbeschränkungen im Bibliothekssystem können Jugendliche auch am Selbstverbucher davon abgehalten werden, Literatur für Erwachsene zu entleihen.
Das, was Eltern zudem besorgt, sind vermeintlich harmlose Schul- oder Universitäts-Geschichten, die mit vulgären Sexszenen überraschen. Abhilfe können hier beispielsweise Content-Warnungen in Form von Chilischoten, Interessenkreisen etc. und Diskussionsrunden oder andere Veranstaltungsformate schaffen.
Die andere Seite von BookTok
Nachdem ausführlich über die Probleme von BookTok für den Buchmarkt gesprochen wurde, soll jedoch auch die andere Seite nicht vergessen werden: Jahrelang wurde moniert, wie wenig sich Jugendliche mit Büchern beschäftigen und wie schwer sie in die Bibliothek zu locken sind, nun kommen sie fast von ganz alleine – wenn man nur die richtigen Bücher anbietet.
Auch der Austausch blüht auf, wenn Influencer/-innen online Bücher vorstellen und in den Kommentaren hitzig diskutiert wird. Und es werden nicht nur die heißesten Erotik-Szenen besprochen: Es geht um Charakterentwicklung, Storyline, Herzschmerz und Identifikation mit sich selbst.
Längst nicht alle auf BookTok gehypten Bücher sind spicy – denken wir an Millers »Das Lied des Achill« oder schauen uns die aktuelle BookTok Bestsellerliste von Juni an: In etwa der Hälfte der Titel geht es um tragische Liebesgeschichten, Fantasy oder Klassiker, die ohne expliziten Content auskommen.
Doch auch die spicy Bücher verdienen ihren Platz auf der Plattform: Einen großen Teil der Community machen junge, erwachsene Frauen aus – die sich völlig offen und frei von Klischees oder patriarchalen Normen über Fantasien austauschen oder in andere, zumeist ebenfalls von Frauen geschaffene, Welten abtauchen können.
Man könnte hier sogar von einer Art Feminismus sprechen – das mag zu gehobenen Augenbrauen führen, sprachen wir schließlich eben noch von Dark Romance, in der geschlechtsbezogene Machtungleichheiten eine große Rolle spielen. Doch auch hier muss der Blick weiterführen: Tropes wie #reverseharem oder #whychose zelebrieren die Emanzipation der Frau, ihre selbstbestimmte Lust und in den allermeisten Büchern stimmt die Protagonistin der Gewalt und Dominierung durch den Mann zu und findet das gut.
Außerdem übernehmen die Leser/-innen auch nicht das, was sie lesen, in die reale Welt oder wünschen sich Entsprechendes für ihr eigenes Leben – ansonsten müssten wir den Blick schnell auch mal zu den Lesenden von blutigen Krimis richten.
Das große Plus einer Plattform wie TikTok ist zudem, dass es Nischen für alles gibt. Die präsentesten davon sind die Genre New Adult oder – durch Medienaufmerksamkeit – Dark Romance. Aber es gibt genauso Communities, die sich mit Krimis, Klassikern oder Komödien befassen. Trainiert man seinen Algorithmus ein wenig, werden auch nur die Themen und Accounts angezeigt, die einen interessieren.
Bibliotheken können diesen Hype als Chance nutzen: Es muss dabei gar nicht unbedingt ein eigener BookTok-Account mit einer neuen Karriere als Influencer-/in sein. Man könnte ein Regal(-brett) mit den auf BookTok gehypten Titeln präsent aufstellen und bei Klassenführungen oder durch Plakate darauf aufmerksam machen.
Hat man die Ressourcen, dann kann man Buchclubs oder andere Austauschformate anbieten. Praxisbeispiele gibt es genug – denkt man an die Stadtbücherei Augsburg oder die Bücherhallen in Hamburg. Dabei ist Flexibilität wichtig, denn so schnell wie ein Trend kommt, geht er häufig auch wieder.
Grundlegendes bleibt jedoch erhalten: Wie lange lesen wir schon besonders gerne #enemies-to-lovers, ohne es vorher jedoch so genannt zu haben? Jane Austen grüßt an dieser Stelle.
Und woher weiß ich nun, welche Titel gerade beliebt sind? Dabei helfen der Interessenkreis #booktok der ekz oder die BookTok-Bestsellerliste.
Bibliotheken müssen selbst entscheiden, wie weit sie diesen Trend mitgehen.
Bei aller berechtigten Kritik, der diese Literatur ausgesetzt ist, und bei aller Aufmerksamkeit, die wir dem Thema Jugendschutz widmen müssen, sollten wir uns auch selbstkritische Fragen stellen: Warum sind die Inhalte von Thrillern gesellschaftlich anerkannt und explizite Liebesromane werden delegitimiert? Was haben wir selbst als junge Erwachsene gelesen?
Ein Fakt ist: Junge Leute lesen wieder verstärkt und es findet ein reger Austausch statt. Dabei bleibt es meist recht friedlich, jede Meinung zu einem Buch wird akzeptiert. Man weint und lacht gemeinsam und Diskussionen zu kontroversen Themen entstehen ganz selbstverständlich.
Auch uns hat die Beschäftigung mit den entsprechenden Büchern und die Frage nach dem Umgang damit vor Herausforderungen gestellt. Unser Fazit: Dem Ganzen mit ein bisschen Wohlwollen und Humor zu begegnen, schadet nicht.
Aufgrund der sehr hohen Nachfrage haben wir beschlossen, die beiden kostenlosen #booktok-Webinare »#BookTok Basics: Was Bibliotheken wissen müssen« und »#BookTok Deep Dive: Von der Theorie zur Praxis in Bibliotheken« in diesem Herbst noch einmal für alle anzubieten, die bisher nicht teilnehmen konnten. Sobald die Termine auf unserer Website veröffentlicht werden, können Sie sich hier anmelden: Webinare der ekz
Gina Aschemeier, geb. 29.11.2000
Bachelorstudium »Bibliotheks- und Informationswissenschaft« in Leipzig von 2019 bis 2023
Seit Januar 2024 bei der ekz als Lektorin für Kinder- und Jugendliteratur beschäftigt.
Deborah Schneider hat Bibliotheks- und Informationsmanagement B.A. an der Hochschule der Medien in Stuttgart studiert. Seit 2017 ist sie Lektorin bei der ekz.bibliotheksservice GmbH und zuständig für Belletristik und Literaturwissenschaft.