Pro & Contra: Sollen Bibliotheken sonntags öffnen?

Sollen Bibliotheken sonntags öffnen dürfen? Über diese Frage wird im Bibliothekswesen viel gestritten. Ein Pro & Contra.
Die Stadtbibliothek Mönchengladbach öffnet auch am Sonntag. Ein Werbebanner weist darauf hin.
Die Stadtteilbibliothek Mönchengladbach-Rheydt öffnet auch am Sonntag: Ein Banner am Rathausturm in Rheydt weist darauf hin. Foto: Stadtbibliothek Mönchengladbach

 

Wenige Themen erhitzen die Gemüter so sehr wie die Diskussion um die Sonntagsöffnung von (Öffentlichen) Bibliotheken. Zwei Lager stehen sich weitgehend unversöhnlich gegenüber. Im Folgenden argumentieren Brigitte Behrendt und Guido Weyer, wieso Bibliotheken als zeitgemäße Einrichtungen sonntags unbedingt ihre Türen öffnen sollten. Iris Kräutl vertritt die Gegenposition und ruft zum Schutz der Arbeitnehmerrechte auf: Der Sonntag diene der Erholung und gehöre der Familie.

Pro: Am Sonntag ist die Bibliothek voll (von Brigitte Behrendt und Guido Weyer)

Seit 2011 öffnet die Stadtbibliothek Mönchengladbach im Stadtteil Rheydt regelmäßig am Sonntagnachmittag. Weil der Bedarf deutlich erkennbar ist! Sich ändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen – Ganztagsschule, Arbeitswelt – machen vielen Menschen den Bibliotheksbesuch in der Woche schwer bis unmöglich. Die logische Konsequenz ist die Ausweitung der Öffnungszeiten auf das Wochenende, vor allem den Sonntag. An ihm verfügen die meisten Menschen über Freizeit, und für Familien ist er oft die einzige Möglichkeit, gemeinsam etwas zu unternehmen. Dass die Sonntagsöffnung in Rheydt genutzt wird, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage: Zwei Drittel kamen in Begleitung, Familien genauso wie Jugendliche.

Weil es für die Stadtbibliothek Mönchengladbach »Pflicht« und »Kür« ist! Pflicht, weil es grundgesetzlich verbriefter Auftrag ist, allen ungehindert Zugang zu Information, Bildung und Kultur zu gewähren. Internationale Best-Practice-Beispiele wie Finnland zeigen bei Schul- und Leistungsvergleichen, wie gut das funktioniert. Konsequente Kundenorientierung stärkt die Position der Bibliothek, sichert in einer finanzschwachen Kommune ihre Existenz. Öffnungszeiten sind aus Nutzersicht das Kriterium für eine sinnvolle und komfortable Bibliotheksnutzung. Mit der Sonntagsöffnung können bestimmte Zielgruppen, zum Beispiel Familien, Berufstätige, Schüler, besser erreicht werden, kann die Nutzung gesteigert werden. Schon früh zeigte sich der Trend, dass der Sonntag für einen Bibliotheksbesuch noch beliebter ist als der Samstag!

Weil die Bibliothek längst mehr ist als eine Ausleihstation für Medien! Nachfrage und Angebot haben sich im Informationszeitalter stark verändert. Nur ein Teil der Besucher geht noch in die Bibliothek, um Medien auszuleihen. Die Bibliothek boomt als Ort: als Lern- und Arbeitsort, Kulturort, Ort des intergenerativen und interkulturellen Austausches, gerade in Zeiten zunehmender Virtualisierung. In Rheydt nutzen die Besucher sie als ihr städtisches Wohnund Arbeitszimmer. Das funktioniert besonders gut am Sonntag! Anders als in der Woche bleiben viele Besucher mehr als zwei Stunden.

Weil ein Organisationsmodell für den Sonntagsbetrieb gefunden wurde! Die Interkulturelle Familienbibliothek startete ohne das vollständige bibliothekarische Angebotsspektrum, denn aus rechtlichen und organisatorischen Gründen ist der Einsatz städtischen Personals am Sonntag nicht möglich. Zwei externe Servicemitarbeiter begleiten die zusätzlichen Öffnungszeiten; Ausleihe und Rückgabe werden vom Kunden technikgestützt erledigt. Bei aller positiven Resonanz zeigte der Pilotbetrieb aber auch, dass eine bibliotheksfachliche Betreuung fehlt.

Die Mönchengladbacher wollen ihre Bibliothek nutzen – auch sonntags

Weil die Mönchengladbacher ihre Bibliothek wie ihr Museum und Theater auch am Sonntag nutzen wollen! Die Öffentlichen Bibliotheken sind – noch vor den Museen – die meistgenutzten Kulturinstitutionen. Daher müssen sie – wie die Museen – am Sonntag öffnen dürfen. In Mönchengladbach stehen alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, vom städtischen Personalrat über die Parteien bis zu den Kirchen, hinter der Sonntagsöffnung.

Damit Bibliotheken sonntags die Möglichkeit haben, mit Fachpersonal zu öffnen, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Deswegen plädieren wir – mit unseren Bundestagsabgeordneten – für eine Änderung des Bundesarbeitszeitgesetzes. Wir hoffen, dass auch andere Bibliotheken mit der Kundenorientierung ernst machen und ihre Öffnungszeiten auf den Sonntag ausdehnen.

Brigitte Behrendt arbeitet seit 2004 als Leiterin der Stadtbibliothek Mönchengladbach im Fachbereich Bibliothek und Archiv.

Guido Weyer ist seit 1996 in Mönchengladbach, seit 2004 leitet er den Fachbereich Bibliothek und Archiv. – Kontakt: guido.weyer@moenchengladbach.de

Contra: Sonntag muss Sonntag bleiben! (von Iris Kräutl)

»Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.« So steht es in unserem Grundgesetz.

Ich stehe ebenfalls zu diesem Satz und bin froh, dass der Normenkontrollantrag der »Allianz für den freien Sonntag« jetzt Erfolg hatte. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (BVerwG) erklärte die Bedarfsgewerbeverordnung der hessischen Landesregierung in Teilen für nichtig. Der im Grundgesetz garantierte Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe müsse nicht hinter spontan auftretenden Bedürfnissen zurücktreten, argumentierte das Gericht. Wer zum Beispiel am Sonntag eine DVD anschauen will, kann sich die auch schon am Samstag ausleihen.

Als Personalrätin, die sich jetzt seit der Eröffnung der neuen Stadtbibliothek in Stuttgart mit den erweiterten Öffnungszeiten (Montag bis Samstag, 9 bis 21 Uhr) auseinandersetzt, ist mir im Laufe der Jahre die Sonntagsruhe immer wichtiger geworden.

Freizeit wird zerrissen

Es gilt die Fünf-Tage-Woche gemäß TVöD. Das bedeutet, für jeden Samstagsdienst im Publikumsbereich ist ein Ausgleichstag in der laufenden oder folgenden Woche selbstverständlich. Käme jetzt noch ein »Sonntags-Dienst« dazu, wäre das ein weiterer Arbeits- und folglich Ausgleichstag und das hin und her von Arbeitstagen und freien Tagen noch stärker. Die Freizeit wird zerrissen und noch schwerer planbar. Bleibt da für spontane Begegnungen und Aktivitäten noch Raum?

Schon jetzt ist wahrnehmbar, wie groß Samstagsdienste oder Spätdienste bis 21 Uhr für KollegInnen in ihre »work-life-balance« eingreifen. Für alleinerziehende KollegInnen wäre eine Arbeit an Sonntagen wegen der fehlenden Betreuungsangebote an Wochenenden ein riesiges Problem. Und spätestens seit der Neuregelung der Zuschläge mit Einführung des TVöD sind Spät-, Samstags- und Sonntagsdienste auch finanziell nicht mehr attraktiv (Sonntag: 25 Prozent Zuschlag, Paragraf 8c TVöD).

Der Sonntag als Ruhetag und Familienzeit ist aus meiner Sicht eine ganz wichtige feste Zeit, um auszuruhen oder selbstbestimmt seine Zeit zu nutzen. Und ich schließe mich gerne dem Gericht an: Unsere Leser haben doch in der Öffentlichen Bibliothek den Vorteil, dass sie fast den gesamten Bestand mitnehmen können. Und das ständig steigende Online-Angebot ist darüber hinaus zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar.

Bibliotheken sind an der personellen Grenze

Schon samstags kann bei eingeschränkter Besetzung nicht das gesamte Leistungsspektrum angeboten werden. Kommt der Sonntag als weiterer Arbeitstag hinzu, stellt sich die Frage, welche Einschränkungen das für die restliche Woche nach sich ziehen würde. Mit viel Energie haben Bibliotheken in den letzten Jahren ihre Klassenführungen optimiert und die Angebote für Schulen ausgebaut. Dabei sind viele Bibliotheken bereits an ihre personellen Grenzen gegangen. Was würde aus diesen Angeboten bei einer weiteren Belastung der Personaldecke werden?

Ständige Arbeitsverdichtung wegen neuen Nutzerangeboten, Stellenstreichungen oder Öffnungszeitenerweiterungen ohne ausreichende Personalaufstockung macht langfristig krank. Sobald Ausfälle gemeldet werden, springen die verbliebenen KollegInnen für die Publikumszeiten ein. Was aber passiert, wenn Krankheitsvertretungen zum Dauerzustand werden? Wird dann das Zuviel an Angeboten zurückgefahren oder werden gar Öffnungszeiten reduziert? Das ist die Erwartung der Beschäftigten. Denn sie möchten gute Arbeit leisten können.

Interne Arbeiten bleiben liegen, solange man im Publikumsbereich arbeitet. Diese »unsichtbaren« wichtigen Tätigkeiten müssen wir immer auf dem Schirm haben. Käme jetzt noch der Sonntag dazu, besteht die Gefahr, dass die Neuerwerbungen länger im Karton liegen bleiben. Außer…

Bibliotheken werden kaputt gespart

Außer mit mehr Personal – aber, welcher fachlich berechnete Stellenbedarf für Öffnungszeitenerweiterung einer Bibliothek ist nicht durch einen Stadtratsbeschluss reduziert worden – meist mit dem freundlichen Hinweis, dass man es erstmal mit weniger Personal versuchen soll und wenn‘s nicht klappt, beim nächsten Doppelhaushalt (in zwei Jahren) sich wieder melden soll.

Damit beschließt der Stadtrat die erweiterten Öffnungszeiten mit zu wenig Personal. Und bis zum nächsten Doppelhaushalt sind die Kolleginnen und Kollegen platt.

Ich sehe die Sonntagsöffnung als Luxusthema. In einem Land, in dem Öffentliche Bibliotheken

  • geschlossen werden,

  • kaputtgespart werden,

  • schon unter der Woche wegen knappem Personal wenig Öffnungszeiten haben,

  • samstags, wenn überhaupt, zwei Stunden geöffnet sein können, weil die Öffentlichen Bibliotheken weder ausreichend Personal noch Etat dafür bekommen, brauchen wir sonntags keine Öffnung von »Bibliotheksleuchttürmen«.

Wenn wir uns gemeinsam für die Grundversorgung stark machen würden; wenn wir uns für die Notwendigkeit von Fachkräften in Bibliotheken einsetzen würden – dann wäre ich gleich dabei. Aber der Sonntag muss Sonntag bleiben!

Iris Kräutl ist langjährige Personalrätin bei der Stadt Stuttgart, Verdi-Aktive seit ihrer Bibliotheksassistentinnen-Ausbildung 1984 und seitdem auch in den Vorvereinen des Berufsverbands Information Bibliothek (BIB). Im BIB seit der Gründung im Jahr 2000 bis 2005 aktiv, seitdem einfaches Mitglied. – Kontakt: Iris.Kraeutl@stuttgart.de

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