Bibliotheken im Fokus der Bundespolitik

Der aktuelle Koalitionsvertrag zeigt Potenziale und Perspektiven der neuen Legislatur mit weiteren Chancen für Bibliotheken.
In engem Kontakt mit der Politik: Das Parlamentarische Frühstück des dbv, das im Mai 2024 im Bundestag stattgefunden hat. Foto: dbv

Durch die vorgezogenen Neuwahlen und den Amtsantritt der neuen Bundesregierung haben sich nicht nur politische Prioritäten, sondern auch Ressortzuständigkeiten in der Bundespolitik verändert. Welchen Einfluss hat das auf die Arbeit der Bibliotheken in Deutschland? Welche Schwerpunkte werden zukünftig gesetzt? Und welche Ministerien sind dafür zuständig? Antworten gibt der aktuelle Koalitionsvertrag »Verantwortung für Deutschland« (2025), in dem sich zahlreiche Vorhaben finden, die inhaltliche Schnittmengen mit der Arbeit von Bibliotheken aufweisen und die als Anknüpfungspunkte für die strategische Interessenvertretung des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) dienen. 

Im Folgenden werden besonders relevante Koalitionsvorhaben sowie die neuen Ressortzuschnitte näher beleuchtet und die sich daraus ergebenden Potenziale für Bibliotheken betrachtet.

Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität

Noch in der vergangenen Legislaturperiode hat der Bundestag durch eine Verfassungsänderung die Grundlage für das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität geschaffen. Mittlerweile hat ein Gesetzentwurf für das Sondervermögen das Kabinett passiert und startet in Kürze in die parlamentarischen Beratungen. Der dbv hat dazu mit anderen Verbänden im Deutschen Kulturrat eine Positionierung abgestimmt, dass das Vermögen auch für Investitionen der baulichen Infrastruktur von Kultureinrichtungen genutzt werden muss. 

Ermöglichung der Sonntagsöffnung

»Öffentlichen Bibliotheken ermöglichen wir die Sonntagsöffnung.« (Koalitionsvertrag, Seite 120) 

Ein Erfolg ist die erneute Aufnahme der rechtlichen Ermöglichung der Sonntagsöffnung Öffentlicher Bibliotheken in den Koalitionsvertrag. Bereits im Koalitionsvertrag der vorherigen Legislaturperiode war dieses Vorhaben enthalten, konnte aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen jedoch nicht mehr umgesetzt werden. Der dbv wird nun darauf drängen, dass das Thema durch Änderung des Arbeitszeitgesetzes zügig angegangen wird.

Bibliotheken im ländlichen Raum

»Eine lebendige kulturelle Infrastruktur zählt zur Daseinsvorsorge. Museen, Theater, Kinos, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren oder Galerien gehören auch in den ländlichen Raum. Sie sind Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse. Wir wollen kulturelle Teilhabe aller Menschen gewährleisten.« (Koalitionsvertrag, S. 119)

Bibliotheken übernehmen im ländlichen Raum essenzielle Funktionen: Sie sichern kulturelle Grundversorgung, bieten Lern- und Begegnungsräume und wirken als Ankerpunkte kommunaler Identität. Angesichts der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen ist es dringend notwendig, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern eine zukunftsfähige Finanzierung für Bibliotheken im ländlichen Raum schafft. Der dbv setzt sich deshalb für einen Dialog aller föderalen Ebenen und für gezielte Bundesprogramme ein, die Bibliotheken als Teil kultureller Infrastruktur in ländlichen Regionen stärken.

Stärkung von Bildungsgerechtigkeit

«Kinder und Jugendliche sollen ihr Potenzial unabhängig von ihrer Herkunft ausschöpfen können… Wir fördern Bildungsgerechtigkeit, Leistungsfähigkeit und Inklusion. Wir werden frühkindliche Bildung sowie Bildungsübergänge stärken…« (Koalitionsvertrag, S. 71)

Bibliotheken leisten einen zentralen Beitrag zu Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit, insbesondere im Bereich der außerschulischen Bildung. Der dbv wird daher im Austausch mit politischen Entscheidungsträgern auf die systematische Einbindung von Bibliotheken als außerschulische Partner in künftigen Bildungsstrategien und Förderprogramme des Bundes drängen. Dazu gehört auch die Einbindung von Bibliotheken in Fördermaßnahmen des bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode angestoßenen Startchancen-Programmes, wo immer dies möglich ist. In geplanten Bundesprogrammen für den Kitabereich muss die Kooperation mit Bibliotheken als Teil der Sprach- und Leseförderung fest verankert werden. 

Forschungsdatengesetz

»Wir erleichtern die Datennutzung (BDSG) und werden ein Forschungsdatengesetz noch dieses Jahr vorlegen.« (Koalitionsvertrag, S. 76)

Wissenschaftliche Bibliotheken sind zentrale Akteure im Forschungsdatenmanagement und der Open-Science-Infrastruktur. Ein gut ausgestaltetes Forschungsdatengesetz kann die Rahmenbedingungen für Zugänglichkeit, Speicherung und Nachnutzung von Forschungsdaten nachhaltig verbessern. Bibliotheken müssen in dessen Umsetzung frühzeitig einbezogen werden. Der dbv wird zum anstehenden Gesetzesentwurf eine entsprechende Stellungnahme abgeben und darauf dringen, dass Bibliotheken als Infrastrukturpartner in der Wissenschaft rechtlich und organisatorisch gestärkt werden.

Digitale Teilhabe und digitale Kompetenzoffensive

»Wir stärken digitale Kompetenzen, um allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und unsere Demokratie resilienter gegen Desinformation und Manipulation zu machen... Wir starten deshalb eine altersübergreifende digitale Kompetenzoffensive.« (Koalitionsvertrag, S. 69)

Bibliotheken sind prädestiniert dafür, Teil dieser digitalen Kompetenzoffensive zu sein: Gerade angesichts der generationsübergreifenden Zielsetzung muss die Bundesregierung Bibliotheken als wohnortnahe, barrierefreie Lernorte für Menschen aller Altersgruppen systematisch in Planung und Umsetzung einbinden. Die zu erwartende Verortung der Kompetenzoffensive im Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) bietet hierfür strukturell günstige Voraussetzungen, da dort sowohl Bildung als auch gesellschaftspolitische Themen wie Digitalisierung und Teilhabe zusammengedacht werden. 

Neue Ressortstrukturen: Das BMBFSFJ als ein Schlüsselressort für Bibliotheken

Die neue Bundesregierung hat auch die ministerielle Architektur neu strukturiert. Das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen, Sport und Jugend (BMBFSFJ) hat durch die Integration zentraler Bildungsaufgaben für Bibliotheken erheblich an Bedeutung gewonnen. Es ist nun nicht nur für Themen wie Demokratieförderung, Einsamkeitsprävention und Jugendpolitik, sondern auch für frühkindliche, schulische und außerschulische Bildung zuständig. Diese Bündelung macht das BMBFSFJ zu einem zentralen Ansprechpartner für Bibliotheken. Als Orte der Begegnung, des außerschulischen Lernens und der Teilhabe können Bibliotheken einen Beitrag zu nahezu allen dort angesiedelten Politikfeldern leisten. Das betrifft auch die bereits erwähnte generationsübergreifende digitale Kompetenzoffensive, die voraussichtlich im BMBFSFJ verankert sein wird. 

BMFTR: Digitalisierung, Transfer, Innovation – mit Bibliotheken

Auch das neugeschaffene Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), das Innovationsförderung, Wissenschaftskommunikation und Transfer stärker bündeln soll, ist ein strategisch relevanter Akteur. Wissenschaftliche Bibliotheken können hier als Infrastrukturpartner der Wissenschaft wie auch als Akteure gesellschaftlicher Resilienz im digitalen Wandel eine wichtige Rolle einnehmen. Gleichzeitig sind sie Brückenakteure im Wissenstransfer, indem sie wissenschaftliche Inhalte für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich und verständlich machen, ein Ziel, das auch im Selbstverständnis des BMFTR verankert ist.

Bibliothekspolitik ressort- und ebenenübergreifend denken

Bibliotheken erfüllen heute Aufgaben, die eine Vielzahl von Politikfeldern berühren, von der Bildungs-, Wissenschafts-, und Digitalpolitik über Kultur- und Demokratiepolitik bis hin zur Jugend- und Engagementpolitik. Außerdem erreichen sie eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen, von Kleinkindern bis zu Seniorinnen und Senioren, von Bildungsfernen bis zu Studierenden. Soll das Potenzial von Bibliotheken voll ausgeschöpft werden, müssen sie systematisch in alle relevanten politischen Strategien eingebunden und in Förderprogrammen berücksichtigt werden. Angesichts der dargestellten thematischen Breite ist dafür ein vernetztes, koordiniertes politisches Handeln über föderale Ebenen und Ressortgrenzen hinweg notwendig, das der dbv in den weiteren Gesprächen mit Parlament und Ministerien einfordern wird. 

Interessenvertretung zum Start der Legislatur

Ein zentrales Forum wird der 3. Bibliothekspolitische Bundeskongress des dbv sein. Unter dem Motto »Räume für eine offene Gesellschaft und Wissenschaft« werden am 9. Oktober 2025 in Berlin Vertreter/-innen aus Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik, Partner»-innen aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur, politische Bildung und Demokratieförderung sowie Vertreter»-innen der Bibliothekscommunity in den Dialog treten, um aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen und strategische Perspektiven zu diskutieren. Darüber hinaus wird der dbv in dieser Legislaturperiode gezielt den Dialog mit relevanten Bundestagsabgeordneten, Fraktionen und Bundesministerien suchen, um frühzeitig Bibliotheken als wichtige Akteure und Infrastrukturen für die skizzierten Themen zu positionieren und deutlich zu machen, dass Bibliotheken bei ihren Aufgaben für eine resiliente demokratische Gesellschaft klare politische Weichenstellungen und strukturelle Sicherung brauchen.

Verena Harpe ist Referentin für politische Kommunikation beim Deutschen Bibliotheksverband (dbv).

Dr. Holger Krimmer (Foto: dbv - Mark Bollhorst) ist Bundesgeschäftsführer des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv).

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