Erst Spinnerei, dann Universitätsbibliothek

Blick auf die Fassade. Foto: ARGE Aktienspinnerei
Blick auf die Fassade. Foto: ARGE Aktienspinnerei
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[caption id="attachment_13125" align="alignleft" width="596"]Eine der frühen Fabrikbauten der Stadt Chemnitz, die Aktienspinnerei, in einer Aufnahme aus dem Jahr 1890. Foto Stadtarchiv Chemnitz Eine der frühen Fabrikbauten der Stadt Chemnitz, die Aktienspinnerei, in einer Aufnahme aus dem Jahr 1890. Foto Stadtarchiv Chemnitz[/caption]

 

 

 

Für die Universitätsbibliothek und das Universitätsarchiv Chemnitz wird ein alter Industriebau modernisiert – die Alte Aktienspinnerei. Das Gebäude behält den Charakter eines Fabrikgebäudes aus dem 19. Jahrhundert und wird eine moderne Bibliothek beherbergen, die rund um die Uhr geöffnet haben wird. Es entsteht eine sehr besondere Bibliothek, die nicht nur ein Speicher für gedruckte und elektronische Medien ist, sondern vielmehr eine Atmosphäre bietet, in der sich wissenschaftlich interessierte Menschen treffen, gedruckte und digitale Informationen finden, miteinander diskutieren und neue Ideen entwickeln können.

Die Geschichte der Alten Aktienspinnerei

In Chemnitz gibt es eine Reihe von Industriegebäuden, die im 19. Jahrhundert gebaut wurden, in denen schon lange keine Produktion mehr stattfindet und die dringend eine neue Nutzung benötigen, um nicht zu verfallen. Eines dieser Gebäude ist die denkmalgeschützte Alte Aktienspinnerei am Rande des Stadtzentrums.

 

Die Alte Aktienspinnerei wurde im Baustil des historischen Eklektizismus um 1858 erbaut. Der  Architekt Friedrich Theodor Roschig hatte das Gebäude aufgrund der Brandgefahr ganz aus Eisen und Stein projektiert und auf Holz als Baumaterial verzichtet. Das Gebäude zählte damals zu den brandsichersten der Stadt Chemnitz.

 

Mit 60 000 Spindeln war sie die größte Spinnerei Sachsens. Anfang des 20. Jahrhunderts zog die Spinnerei aus dem Gebäude aus, weil es für die Menge des zu produzierenden Garnes zu klein geworden war.

 

Im 2. Weltkrieg wurde das Haus stark beschädigt und verlor die oberste Etage. Nach dem Krieg bekam das Gebäude ein Notdach und erlebte eine vielfältige Nutzung: unter anderem als Kaufhaus, Puppenbühne, Stadtbibliothek, Bürogebäude und nach der Jahrtausendwende auch als Galerie. Dann stand das Gebäude leer und verfiel zusehends.

Die bauliche Situation der Universitätsbibliothek Chemnitz

Die Universitätsbibliothek (UB) Chemnitz ist aktuell dezentral an drei Standorten untergebracht und keines der Gebäude ist als Bibliotheksgebäude gebaut worden. Das Konzept »Bibliothek als Lern- und Kommunikationsort« kann nur sehr punktuell umgesetzt werden, weil dafür die räumlichen Voraussetzungen fehlen. Obwohl der Zugang an gedruckten Büchern in den letzten Jahren rapide zurückgegangen ist und der Fokus des Bestands-managements auf dem Ausbau der Digitalen Bibliothek liegt, fehlt auch der Platz für gedruckte Medien. An einer Änderung der Situation wurde schon sehr lange gearbeitet. Es gab viele Pläne für einen Bibliotheksneubau oder -umbau, die letztlich aber alle scheiterten.

 

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Das Universitätsarchiv – seit 2014 eine Abteilung der UB – platzt seit Langem aus allen Nähten und nutzt verschiedene Flächen der TU Chemnitz an drei verschiedenen Universitätsstandorten.

Die Alte Aktienspinnerei als Universitätsbibliothek

Die Idee, die Alte Aktienspinnerei zur Zentralbibliothek der TU Chemnitz umzubauen, entstand während der Bewerbungsphase zur »Stadt der Wissenschaft« im Jahr 2010. Ein Thema dieser Bewerbung war die Herausforderung »Denken im Zentrum«.

 

Nicht nur die Universitätsbibliothek ist auf mehrere Standorte verteilt, auch die Universität selbst besteht aus mehreren Teilen, die über das Stadtgebiet verstreut sind. Mit der Idee, die Universitätsbibliothek in der Alten Aktienspinnerei unterzubringen, ist auch der Plan verbunden, studentisches Leben in die Innenstadt zu bringen. So soll der an die Aktienspinnerei angrenzende Stadtteil »Brühl« wieder zum Leben erweckt und studentisches Leben in generationsübergreifendes Wohnen integriert werden. Die Universitätsbibliothek soll der Motor der Stadtentwicklung sein.

 

Chemnitz hat den Titel »Stadt der Wissenschaft« nicht bekommen. Aber die Idee, die Aktienspinnerei in die Universitätsbibliothek zu verwandeln, hat überlebt. Der erste Schritt zur Verwirklichung dieser Idee wurde 2011 gemacht. Der Freistaat Sachsen erwarb das Gebäude und damit war der Weg frei, die Alte Aktienspinnerei zur Universitätsbibliothek umzubauen.

 

Im Jahr 2012 wurde ein europaweiter Wettbewerb zum Umbau der Alten Aktienspinnerei gestartet. In der Ausschreibung gab es die klare Vorgabe, dem Haus seine alte Kubatur wiederzugeben und den Stil eines Industriegebäudes zu belassen.

 

Aus den 117 Bewerbern aus mehreren europäischen Ländern, die sich für diese Planungsaufgabe beworben hatten, wurden 30 Büros zur Teilnahme ausgewählt. Davon reichten 26 ihren Entwurf für den Wettbewerb ein.

 

Am 31. Januar 2013 fällte die Jury unter dem Vorsitzenden Paul Kahlfeldt die Entscheidung, den Entwurf der Bietergemeinschaft Lungwitz, Heine, Mildner (Dresden) und Rabe (Berlin) auf Platz 1 zu setzen. In der Begründung stand: »Der ehrliche und sensible Umgang mit der historischen Bausubstanz und deren Erweiterung ist sehr gelungen. Die konsequente und zeitlose Formulierung wird sowohl in der Fassade als auch in den Innenräumen fortgesetzt. Die historische Bausubstanz wird optimal genutzt und erweitert. Es ist eine klare Trennung von individuellen Arbeitsplätzen und Gruppenräumen zu erkennen. Abgerundet wird die Nutzung durch die zentrale Platzierung der Leseräume.«

 

[caption id="attachment_13124" align="alignright" width="300"]Gut zu erkennen ist die historische Ausstattung: Säulen, Gewölbedecke und Tragekonstruktion. Foto: TU Chemnitz/Steinebach Gut zu erkennen ist die historische Ausstattung: Säulen, Gewölbedecke und Tragekonstruktion. Foto: TU Chemnitz/Steinebach[/caption]

 

Der Umbau des Gebäudes begann mit Abbruch und Entkernung. Die verschiedenen Nutzungen hatten Spuren hinterlassen und es gab jede Menge Ein- und Anbauten, die entfernt werden mussten. Leider konnten auch nicht alle Gebäudeteile erhalten bleiben. Der Mittelbau sowie die äußeren Giebelfelder der Seitenflügel wurden vollständig entkernt. Insgesamt wurden mehr als 6 500 Tonnen Bauschutt – zum großen Teil in Handarbeit – beräumt.

Bauliche Ausstattung

Im Sommer 2015 konnte mit dem Wiederaufbau und dem Ausbau der erhaltenen Gebäudeteile begonnen werden.

 

Wie im Wettbewerb gefordert, entsteht das Haus wieder in seiner ursprünglichen Kubatur. Diese besteht aus einem zentralen fünfgeschossigen Mittelbau sowie zwei langgestreckten, viergeschossigen Seitenflügeln mit Satteldach und markanten Ecktürmen.

 

An den Mittelbau wird der Magazinanbau gesetzt, weil Magazinräume aufgrund der fehlenden Fläche im ursprünglichen Gebäude nicht unterzubringen waren. Die Fassade entsteht wieder nach historischem Vorbild. Die Magazinerweiterung des Mittelbaues erhält eine Vorhangfassade aus Betonfertigteilen, die sich in das Gesamtbild einfügt. Alle Fenster erhalten eine Sprossengliederung – so wie schon 1858.

 

Auch im Inneren des Gebäudes wird der industrielle Charakter des Gebäudes erhalten. Die historische Tragkonstruktion der Seitenflügel mit Gusseisenstützen und -trägern, Spanngliedern und Gewölbekappen werden wieder instand gesetzt. In den Seitenflügeln werden sich die Freihandbereiche mit integrierten Leseplätzen befinden. An den Giebelseiten sind die Büros untergebracht.

 

Im Mittelteil befinden sich in der Reihenfolge der Geschosse – beginnend mit dem Untergeschoss – die Garderobe, ein großzügiges Foyer, der Ausleih- und Auskunftsbereich, ein Lesesaal mit Empore und Carrels.

 

[caption id="attachment_13126" align="alignleft" width="596"]Blick auf die Fassade. Foto: ARGE Aktienspinnerei Blick auf die Fassade. Foto: ARGE Aktienspinnerei[/caption]

 

 

 

Im neuen Haus wird es viele »Hingucker« geben. Dazu gehören der schon genannte Lesesaal über drei Etagen, der ein Dach aus Glas haben wird, ein Lesegarten und das Erdgeschoss des Ostflügels. Dort entsteht ein variabel gestaltbarer Lese- und Kommunikationsbereich. Außerdem wird es vier Gruppenarbeitsräume geben, die mit verschiebbaren Wänden versehen sind. Bei Bedarf können sie in unterschiedlich große Veranstaltungsflächen umgewandelt werden, die über einen gesonderten Eingang und ein kleines Foyer betreten werden können.

 

Nahe am Chemnitzer Hauptbahnhof gelegen und mit dem Campus Reichenhainer Straße durch eine Straßenbahn verbunden, die im Zehn-Minuten-Takt fährt, ist die neue Universitätsbibliothek gut zu erreichen. Der Haupteingang an der Südseite ist der Innenstadt zugewandt und durch die axiale Ausrichtung Richtung Schillerplatz und Kunstsammlungen ist der Anschluss an das Stadtzentrum gegeben.

 

In der Alten Aktienspinnerei entsteht eine Bibliothek, die mehrere Aufgaben haben wird. Sie ist der Lernort und Treffpunkt der Studierenden und Mitarbeitenden der TU Chemnitz. Sie hält mehr als 700 Plätze für alle Lerngewohnheiten vor. Der klassische Lesesaal lädt zum stillen und konzentrierten Arbeiten ein und im Freihandbereich finden sich sowohl Leseplätze zum Anlesen als auch Stehplätze und Leselandschaften. Gruppenarbeitsräume mit variablen Möbeln und Carrels für konzentrierte Einzelarbeit runden das Arbeitsplatzangebot ab.

 

Als öffentliche Bibliothek will sie aber auch der Anlaufpunkt für den an wissenschaftlicher Information interessierten Bürger aus Chemnitz und Umgebung sein. Sie ist gleichzeitig das Informationszentrum für die in Chemnitz und Umgebung ansässigen Unternehmen. Damit wird die UB die Öffnung der Universität nach außen sein. Durch die Koppelung der Universitätsbibliothek mit dem Universitätsarchiv ist die UB auch die Bewahrerin der Geschichte der TU Chemnitz.

Technische Ausstattung

Auch wenn die Hülle des Gebäudes nach altem Vorbild aufgebaut wird, wird es im Inneren eine moderne technische Ausstattung geben, die den zeitgemäßen Anforderungen an eine Bibliothek entspricht. Der Mittelbau wird voll klimatisiert, die Seitenflügel erhalten eine Lüftungsanlage.

 

An der Schnittstelle zwischen Altbau und Magazinanbau befindet sich eine Buchtransportanlage, die als Vertikalsystem alle sechs Nutzungsgeschosse der Bibliothek verbindet. Diese Buchtransportanlage, die mit zwei Rückgabeautomaten gekoppelt ist und sechs Mitarbeiter-Rückgabeplätze haben wird, ist mit 25 Telelift-Fahrzeugen ausgestattet, die jedes Medium einzeln und schonend in die jeweilige Etage befördern. Die angewendete Technologie ist so interessant, dass sich Bibliotheken weltweit dafür interessieren.

 

[caption id="attachment_13127" align="alignleft" width="300"]Im Mittelbau der Bibliothek in der Aktienspinnerei wird sich ein großzügiges Foyer befinden. Foto: ARGE Aktienspinnerei Im Mittelbau der Bibliothek in der Aktienspinnerei wird sich ein großzügiges Foyer befinden. Foto: ARGE Aktienspinnerei[/caption]

 

Plätze für die Selbstverbuchung der Medien, leistungsfähige Multifunktionsgeräte, moderne PC-Arbeitsplätze, ein leistungsfähiges WLAN und ein intelligentes Türzugangs- und Raumreservierungssystem komplettieren die technische Ausstattung.

 

Natürlich wird es Aufzüge für die Nutzer geben und zwei Kleingüteraufzüge an den Giebelseiten der Seitenflügel, die die Büros vertikal verbinden. Ein weiterer Kleingüteraufzug befindet sich im Magazinraum des Archives, das mit einem zweigeschossigen Regal ausgestattet ist.

24/7

Die Erwartungen an die neue Universitätsbibliothek sind groß. Deshalb wird die Bibliothek nicht nur ein besonderes Haus nutzen, sondern auch eine besondere Öffnungszeit haben,  nämlich 24/7, das heißt sie hat rund um die Uhr geöffnet.

 

[caption id="attachment_13128" align="alignright" width="268"]Ein Highlight der neuen Bibliothek wird ein Lesesaal über drei Etagen sein, der ein Dach aus Glas haben wird. Foto: ARGE Aktienspinnerei Ein Highlight der neuen Bibliothek wird ein Lesesaal über drei Etagen sein, der ein Dach aus Glas haben wird. Foto: ARGE Aktienspinnerei[/caption]

 

In Vorbereitung des Umzuges steht die UB Chemnitz deshalb nicht nur vor der Herausforderung, aus drei Bibliotheken eine zu machen und die Bestände des Universitätsarchives wohlgeordnet in einem Magazin unterzubringen, sondern auch die Arbeitsabläufe so zu planen, dass die Bibliothek zwölf Stunden pro Tag auch ohne Bibliothekspersonal gut funktionieren kann. Geplant ist, dass die Bibliothek in der Zeit von 20 Uhr bis 8 Uhr als Selbstbedienungsbibliothek genutzt werden kann.

Ausblick

Der Bau ist schon weit vorangekommen. Die Fassade erstrahlt im alten Glanz und die Gerüste sind fast vollständig abgebaut. Der Innenausbau ist auf der Zielgeraden und Ende 2019 soll die Universitätsbibliothek die Schlüssel für das Gebäude bekommen. Danach muss die Bibliothek möbliert werden und weit über eine Million Bücher und Zeitschriften, 3,3 Kilometer Akten des Archives, mehrere Hundert PC, Bildschirme, Drucker, Scanner und alle Büromaterialien der Mitarbeiter müssen umziehen.

 

Wenn alles fertig ist, steht eine Bibliothek zur Verfügung, die nicht nur ein Speicher für gedruckte Bücher ist, sondern vielmehr ein Raum, in dem sich an Wissenschaft interessierte Menschen treffen, diskutieren und lesen können, in dem neue Ideen entstehen werden und gedruckte und digitale Medien aller an der TU Chemnitz vertretenen Fächer zu benutzen sind – und das in einem Gebäude, das besonders sein wird.

Die Autorin

Angela Malz, Direktorin der Universitaetsbibliothek Angela Malz ist seit 2006 die Direktorin der UB Chemnitz. Vorher arbeitete sie in verschiedenen Positionen in dieser Bibliothek. Das Thema Bibliotheksbau begleitet sie seit ihrer Amtsübernahme.

Angela Malz / 13. 5. 2019

 

 

 

 

 

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