»Die Werte der IFLA sind nicht infrage gestellt«

IFLA-Präsidentin Barbara Lison nimmt im BuB-Interview Stellung zu den schweren Vorwürfen gegen den bibliothekarischen Weltverband.
Im Themenschwerpunkt »IFLA in der Krise« der BuB-Januarausgabe gibt es weitere Beiträge und Informationen zur aktuellen Situation des bibliothekarischen Weltverbands IFLA. Foto: Diana Vyshniakova - stock.adobe.com

 

Die Meinungs- und Informationsfreiheit gehört zu den Grundwerten des internationalen Bibliotheksverbands IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions). Liest man die aktuelle Ausgabe des schwedischen Bibliotheksmagazins »Bibliotheskbladet« – die ins Deutsche übersetzte Titel-Story ist in der Januar-Ausgabe von BuB (Seite 18) zu finden –, dann spielt dieser Grundsatz innerhalb der Organisation keine große Rolle. Das Magazin berichtet über eine »toxische Atmosphäre« im IFLA-Hauptquartier in Den Haag, es werden Anschuldigungen der Korruption, der Unterdrückung von abweichenden Meinungen und der versuchten Verhinderung der medialen Berichterstattung erhoben. Im Interview mit BuB-Redakteur Bernd Schleh bezieht IFLA-Präsidentin Barbara Lison zu den Vorwürfen Stellung. (Das Gespräch wurde am 8. Dezember 2022 per Telefon geführt.)

 

BuB: Frau Lison, mit dem neuen IFLA-Generalsekretär Gerald Leitner und seinem Strategieprojekt »Global Vision« sollte die Arbeit des bibliothekarischen Weltverbandes modernisiert werden. Stattdessen liegen die Werte der IFLA nun in Trümmern. Wie konnte es dazu kommen?

Barbara Lison: Also die Ansicht, die Werte der IFLA liegen in Trümmern, ist sehr drastisch formuliert. Die Werte der IFLA sind nicht infrage gestellt. Der freie Zugang zur Information, die freie Rede, alle diese Werte, die auch ausführlich auf der IFLA-Webseite aufgeführt werden, sind nach wie vor aktuell. Sie sind die wichtigste Grundlage für unsere Arbeit. Wenn Sie sich anschauen, was in den IFLA-Gremien, durch die IFLA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter geleistet wird, das geschieht alles auf Basis dieser Werte. Sie liegen nicht in Trümmern. Diese Werte werden von der Organisation, deren Beschäftigten, dem Governing Board und glücklicherweise auch von den IFLA-Volunteers nach wie vor hochgehalten und in ihrer täglichen Arbeit umgesetzt.

Toxische Arbeitsatmosphäre, Drohungen, Erniedrigungen, Unterdrückung abweichender Meinungen, Verhinderung medialer Berichterstattung bis hin zur Korruption: Die Vorwürfe, die im Biblioteksbladet gegen die IFLA-Führung erhoben werden, sind schwerwiegend und stehen den IFLA-Werten diametral gegenüber.

Dies sind Vorwürfe – sie sind nicht nachgewiesen. Natürlich müssen wir uns troztdem diesen Vorwürfen stellen. Deshalb betreiben wir seit einem dreiviertel Jahr die Aufarbeitung dieser Vorwürfe und einen Abgleich mit der Realität. Wir hatten jetzt gerade vier Tage IFLA-Vorstandssitzung in Den Haag, vor 45 Minuten habe ich die letzte Sitzungsrunde beendet. Wir haben intensiv an unterschiedlichen Themen gearbeitet, auch an vielen Themen professioneller Art, wie zum Beispiel den IFLA-Weltkongressen der nächsten Jahre und einem Rückblick auf den vergangenen sehr erfolgreichen Kongress in Dublin. Aber natürlich haben wir uns auch der Vorwürfe angenommen. Wir zeigen damit, dass der Weltverband und vor allem das Governing Board, also der IFLA-Vorstand, diese Vorwürfe ernst nimmt und versucht, ihnen entsprechende reale Situationen und produktive Lösungen entgegenzusetzen. Diese sind von uns kurz-, mittel- und langfristig angelegt.

 
»Wenn das Governing Board Grundwerte verletzt hat, wie behauptet wird, dann brauchen wir konkrete Belege dafür, damit wir daran weiterarbeiten können, das zu korrigieren beziehungsweise zu beenden.«

 

Können Sie die Vorwürfe nachvollziehen?

Die Vorwürfe sind so allgemein formuliert, dass ich keine Möglichkeit habe, sie konkret nachzuvollziehen. Der Vorwurf der Korruption zum Beispiel – ja, was soll und kann ich dazu sagen, wenn einem Korruption vorgeworfen wird, ohne dass weitere Belege, Hintergründe und realistische Nachweise vorgelegt werden? Vorwürfe sind schnell in den Raum gestellt. Wir müssen uns mit ihnen befassen, weil sie auch aus dem Bereich der Mitglieder und der Volunteers kommen. Wir arbeiten sie ab, und unser Ziel ist es jetzt, nicht zu sagen, diese Vorwürfe sind nicht relevant, sondern wir sagen, wie immer diese Vorwürfe gemeint sind, wir sehen dafür keine realistischen Nachweise. Nichtsdestotrotz müssen wir darauf auch mit Blick auf die Zukunft reagieren. Und wir reagieren dadurch, dass wir an bestimmten Stellen die Schrauben weiter drehen durch einen Plan, den wir entwickelt haben, den »Plan for Securing IFLA’s Future«. Diesen Plan habe ich auf der IFLA-Generalversammlung im August vorgestellt, er steht auf unserer Webseite und wir berichten regelmäßig über die Fortschritte. Er beinhaltet nicht nur Vorhaben für die Zukunft, sondern auch Dinge, die wir schon 2022 umgesetzt haben. Wenn Sie hineinzoomen, dann können Sie feststellen, dass ein erheblicher Teil der Maßnahmen, die wir in diesen Plan hineingeschrieben haben, bereits umgesetzt ist oder in Kürze komplett umgesetzt sein wird. Also sitzen wir keinen moment still, das mag klar sein.

Dennoch: Die Grundwerte, die IFLA nach außen vertritt, sind offenbar intern massiv missachtet worden. Das gleicht einem Totalschaden für den Weltverband. Wie erklären Sie diese fatale Entwicklung den IFLA-Mitgliedern, die den Verband finanziell tragen?

Die Belege fehlen. Wenn das Governing Board Grundwerte verletzt hat, wie behauptet wird, dann brauchen wir konkrete Belege dafür, damit wir daran weiterarbeiten können, das zu korrigieren beziehungsweise zu beenden. In diesem Kontext finde ich das Wort »fatal«, das Sie benutzt haben, übrigens sehr schwer. Dennoch ist es eine Situation, die wir sehr gut im Auge behalten werden müssen.

Gibt es bereits Austritte von Mitgliedern aufgrund dieser Verwerfungen?

Soweit ich weiß, gibt es keine offizielen Austritte.

Die Generalsekretärin des schwedischen Bibliotheksverbands Karin Linder weist darauf hin, dass die IFLA-Führung versucht hat, durch Einschüchterungen die Berichterstattung im Biblioteksbladet zu verhindern. Wie ist dieses Verhalten mit den Grundwerten der IFLA zu vereinbaren?

Ich weiß nicht, worauf sich Karin Linder genau bezieht, auch hier fehlt die konkrete Erläuterung.

Der Chefredakteur des Bibliotheksbladet, Thord Eriksson, bestätigt diesen Versuch der Zensur.

Auch das ist keine konkrete Erläuterung. Ich kann Ihnen sagen, dass ich und auch das Governing Board weder mit Anwälten gedroht noch auf andere Art und Weise Drohungen ausgesprochen oder Einschüchterungsversuche unternommen haben. Ich weiß nicht, worauf sich die Anschuldigungen beziehen, aber ich habe möglicherweise eine Vermutung: Das Biblioteksbladet hat ja bereits im April einen Artikel über IFLA veröffentlicht mit Verleumdungen verschiedenster Art, die bis heute nicht nachgewiesen sind. Behauptungen, die später intern zurückgenommen werden mussten auch gegen Mitglieder des IFLA-Personals. Als dieser Artikel veröffentlicht wurde, hat das IFLA-Governing Board ein Statement verfasst, auf der IFLA-Webseite veröffentlicht und das Biblioteksbladet aufgefordert, dieses Statement als Entgegnung auf den Artikel zu veröffentlichen – weil wir und unser Personal hier ungerechtfertigterweise angeschuldigt wurden. Dieses Statement hat das Biblioteksbladet nicht veröffentlicht, auch auf mehrere Aufforderungen hin nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass die jetzt behaupteten vermeintlichen Einschüchterungen darauf Bezug nehmen. Es verwundert mich sehr, dass sich das Biblioteksbladet hier nicht an die journalistischen Gepflogenheiten gehalten und unsere Position dargestellt hat. Ich hoffe und gehe davon aus, dass andere Bibliothekszeitschriften so nicht handeln würden.

 

»Es gibt viele Möglichkeiten, Verbesserungen im Management einer Organisation vorzunehmen, nicht allein, indem man jemand entlässt.«

 

Wenn es sich um eine berechtigte Gegendarstellung handelt, würden wir das bei BuB selbstverständlich veröffentlichen.

Es war keine Gegendarstellung in dem Sinne. Es war eine Korrektur der Fakten und eine Klarstellung der Tatsache, dass diese harten Diffamierungen vor allem auch gegenüber unserem Personal nicht gerechtfertigt sind – wir haben erwartet, dass gerade eine bibliothekarische Fachzeitschrift der journalistischen Sorgfaltspflicht nachkommt.

Würden Sie auch bei den Beiträgen im aktuellen Biblioteksbladet behaupten, es liege mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht vor? Immerhin stammt der Hauptbeitrag von einer der bekanntesten schwedischen Investigativ-Journalistinnen.

Ich würde sagen, mir fehlen da die Nachweise, und es sind schlicht viele Behauptungen und Vorwürfe. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich den Eindruck, dass nicht alle verfügbaren, sondern nur bestimmte einseitige Ressourcen verwendet wurden, um eine Geschichte zusammenzustellen, wie sie vom schwedischen Bibliotheksmagazin verbreitet wurde – und daher als eine unvollständige, einseitige Geschichte veröffentlicht wurde. Übrigens stelle ich damit die Fähigkeiten und jahrelangen Erfahrungen der Journalistin nicht generell infrage.

Unter anderem wird Ihnen persönlich vorgeworfen, dass Sie besonders eng mit dem suspendierten IFLA-Generalsekretär Gerald Leitner verbunden sind und als einzige im IFLA-Vorstand gegen seine Suspendierung gestimmt haben. Würden Sie das wieder so tun?

Ich kenne Herrn Leitner seit über zwei Dekaden und wir haben seitdem immer wieder gemeinsame professionelle Arbeit geleistet, zum Beispiel beim europäischen Bibliotheksverband EBLIDA, wo wir gemeinsam im Vorstand saßen. Wir waren auch bei IFLA zwei Amtsperioden zusammen im Vorstand. Man kennt sich gut, wenn man so eng miteinander arbeitet und wenn man gemeinsam so viel erreicht hat, was die Position der Bibliotheken sowohl im europäischen Kontext als auch im IFLA-Kontext betrifft. Zu den Anschuldigungen kann ich daher weiter nichts sagen. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, ich würde wieder gegen seine Suspendierung stimmen. Ich war veranlasst, so zu stimmen, weil ich der Meinung war, dass diese Entscheidung nicht richtig vorbereit war hinsichtlich aller juristischer und personalrechtlicher Implikationen.

Das sind jetzt eher formale Gründe, das heißt inhaltlich hätten Sie der Suspendierung zustimmen können?

Ich habe dagegen gestimmt. Die inhaltlichen Gründe sind mit den juristischen verbunden. Es gibt viele Möglichkeiten, Verbesserungen im Management einer Organisation vorzunehmen, nicht allein, indem man jemand entlässt.

Inzwischen hat sich IFLA durch eine »Einvernehmliche Einigung« zum Jahresende von Gerald Leitner getrennt. Er ist aber nach wie vor Generalsekretär der IFLA-Stiftung SIGL (Stichting IFLA Global Libraries), die die Millionenbeträge verwaltet, die von der »Bill & Melinda Gates Foundation« an den Weltverband gespendet wurden. Wie passt das zusammen?

Die »Bill & Melinda Gates Foundation« hat der IFLA kein Geld gespendet. Ich war zu dem Zeitpunkt im IFLA-Vorstand, als die ersten Überlegungen der »Bill & Melinda Gates Foundation« angestellt wurden, für das »Global Library Field« einen sogenannten Legacy Fund aufzulegen. Das Geld wurde einer Stiftung übertragen, die extra dafür gegründet wurde – und zwar nicht zur Unterstützung der IFLA, sondern allgemein zur Unterstützung des »Global Library Field«. Es gibt weitere global agierende Organisationen im Bibliothekswesen, die Gutes für Bibliotheken verrichten. Diese Organisationen könnten theoretisch genauso wie die IFLA von SIGL gefördert werden.

 

»Verträge, die geschlossen wurden, müssen eingehalten werden, nicht kommentiert.«

 

Sie halten es also für richtig, dass Gerald Leitner weiterhin Generalsekretär der Stiftung ist?

Ich halte es für richtig, dass eine unabhängige Organisation, und das ist diese Stiftung, ihre Funktionäre, Vorstände genauso wie ihre Satzung selbstständig bestimmt. Die IFLA kann dieser Stiftung keine Vorschriften machen hinsichtlich ihres Personals.

Sie könnten die Stiftung aber darauf hinweisen, dass Sie mit Generalsekretär Gerald Leitner schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Wir haben der Stiftung mitgeteilt, dass Gerald Leitner nicht mehr für IFLA arbeiten wird.

Bleiben wir bei Herrn Leitner: Wie erklären Sie den Anstieg seines Jahresgehalts von 158.000 Euro auf zuletzt 336.000 Euro in wenigen Jahren?

Diese Entwicklung basiert auf den Bedingungen des Anstellungsvertrages.

Und Sie halten diese Summe für gerechtfertigt, die ja aus den Beiträgen der IFLA-Mitglieder – häufig Bibliotheken und Bibliotheksverbände, die im Alltag sparen müssen – bezahlt wird?

Verträge, die geschlossen wurden, müssen eingehalten werden, nicht kommentiert.

Wer hat die Verträge geschlossen?

Das sind die Verantwortlichen in früheren Governing Boards. Sie haben den Anstellungsvertrag und auch die Änderungsverträge geschlossen.

 

»Die Transparenz in der Kommunikation mit den Mitgliedern. Das ist ein Defizit, an dem wir uns deutlich abarbeiten müssen.«

 

Wie tragen Sie persönlich zur Klärung dieser insgesamt intransparenten Situation bei?

Als Präsidentin ist es meine Aufgabe, innerhalb meiner zwei Amtsjahre die Grundlagen für eine noch bessere Zukunft der IFLA zu legen. Dies tue ich nicht alleine, sondern immer in Abstimmung mit dem Governing Board, das schon diverse Maßnahmen ergriffen hat, um sowohl die interne Situation in der Geschäftsstelle als auch im Verbandsgeschehen selber zu klären. Den bereits erwähnten Plan zur Zukunftssicherung der IFLA haben wir im Frühsommer 2022 erstellt. Darin werden verschiedene Handlungsfelder definiert, die auch auf die Kritik der Mitglieder zurückgehen, sei es die Behandlung der Beschäftigten, die Situation in der Geschäftsstelle oder der Umgang mit den Mitgliedern selbst. Wir haben darin Fristen und Verantwortlichkeiten festgelegt, um Maßnahmen zur Verbesserung umzusetzen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Kommunikation. Der IFLA-Vorstand hat beim vergangenen IFLA-Weltkongress alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen, in der es um die aktuelle Situation der IFLA ging. Es war eine zweistündige, sehr lebhafte Sitzung, die im Nachgang von vielen Teilnehmenden positiv bewertet wurde. Diese Art der Veranstaltung wird nun ein dauerhaftes Format bei künftigen IFLA-Kongressen sein. Ziel ist eine enge, intensive und offene Diskussion mit den Mitgliedern. Außerdem haben wir ja den schon mehrfach erwähnten Zukunftsplan aufgestellt, mit dem wir nachvollziehbar die Defizite, die wir ebenfalls gesehen haben – ich spreche jetzt nicht von den Vorwürfen in den Worten, die Sie gewählt haben – bearbeiten werden.

Welche Defizite meinen Sie konkret?

Zum Beispiel die Transparenz in der Kommunikation mit den Mitgliedern. Das ist ein Defizit, an dem wir uns deutlich abarbeiten müssen. Es gibt die Vorwürfe, das Governing Board tue nichts. Das stimmt nicht. Es tut sehr sehr viel, und das müssen wir besser kommunizieren. Wir müssen den Mitgliedern klar zeigen, woran wir arbeiten, wie wir arbeiten und wie wir zur Klärung der Situation beitragen – das ist nicht einfach bei den komplexen Strukturen der Organisation und ist auch nicht von jetzt auf nachher umzusetzen. Das braucht – in jeder Organisation – Zeit, Konsequenz und Anstrengung.

Sehen Sie die unhaltbaren Arbeitsbedingungen im IFLA-Hauptquartier auch als Defizit?

Ja. Es gibt tatsächlich einiges aufzuarbeiten in der Zentrale, in vielerlei Hinsicht. Hier kooperieren wir eng mit der Acting General Secretary Helen Mandl, die sich bereit erklärt hat, für die Übergangszeit die Aufgabe der Generalsekretärin zu übernehmen. Sie arbeitet mit Unterstützung des Governing Board intensiv daran, die Situation in der Geschäftsstelle zu verbessern. Selbstverständlich bekommt sie von uns alle verfügbare Unterstützung, die sie braucht. Wir werden es gemeinsam schaffen.

Sehen Sie persönliche Versäumnisse?

Wenn man handelt, macht man Fehler. Das trifft auch auf mich zu. Man kann nicht immer vorhersagen, welche Wirkungen das eigene Handeln hat. Man versucht zu antizipieren, aber plötzlich ist man in einer ganz anderen Situation, die man selbst nicht vorhersehen konnte. Ich würde sagen, wenn ich Fehler gemacht habe, dann sind die sicherlich auf dem Gebiet der Kommunikation geschehen. Ich hätte noch deutlicher und vielleicht noch eher kommunizieren können und müssen. Ich habe das aus verschiedenen Gründen nicht immer tun können, auch weil die Umstände es nicht erlaubten. Das ist mit Sicherheit ein Bereich, auf den ich jetzt ganz besonders achten werde in den letzten Monaten meiner Amtszeit, sodass die Kommunikation hinsichtlich der Transparenz verbessert werden wird.

Haben die Kontrollmechanismen im Verband versagt?

Das Governing Board hat die strategische und rechtliche Verantwortung. Nur muss es dafür auch die entsprechenden Informationen erhalten. Das operative Geschäft hängt von der Geschäftsführung ab, da mischt sich normalerweise, wenn alles gut geht, ein Vorstand nicht ein. Der Vorstand ist für die strategischen Entscheidungen verantwortlich. Dass der Vorstand künftig aufmerksamer sein wird und sicher auch enger mit dem nächsten Generalsekretär beziehungsweise der nächsten Generalsekretärin zusammenarbeiten wird, da bin ich mir sicher.

Im August 2021 wurde die Zahl der IFLA-Vorstandsmitgleider von 19 auf 11 verringert. Stärkt das die Kontrolle im Verband?

Ja, 7 der 19 Mitglieder repräsentierten früher denselben Aufgabenbereich, die Sektionen innerhalb der IFLA, die sich mit fachspezifischen Themen befassen. Das Governing Board soll aber eine breite Diversität abbilden, nicht nur was die Herkunftsländer betrifft, sondern auch die Aufgabenbereiche. Außerdem wollten wir den Vorstand entscheidungsfähiger und effizienter machen. Die Arbeit mit 19 Vorständen war insofern deutlich komplexer. Und die Reduzierung der Mitgliederzahl war – auch aus finanzieller Hinsicht – nicht ganz unwichtig. Wir wollten den Vorstandmitgliedern die Möglichkeit einräumen, dass sie ohne finanzielle Risiken an der Vorstandsarbeit teilnehmen können. Das war bei 19 Vorstandsmitgliedern finanziell nicht machbar, bei 11 nun schon. Die beiden jährlichen Vorstandssitzungen in Den Haag werden voll von der IFLA finanziert, was An- und Abreise, Aufenthalt und Verpflegung betrifft.

Wann wird die Öffentlichkeit vollständig über die Vorkommnisse informiert?

Welche Vorkommnisse meinen Sie?

Beispielsweise die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in der Zentrale, die Vorwürfe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erheben sowie die Defizite in der Kommunikation.

Was meinen Sie mit vollständig? Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach jetzt noch sagen?

Eine Möglichkeit wäre die Abgabe einer Erklärung, in der die Vorwürfe umfassend aus dem Weg geräumt werden.

Das haben wir schon an vielen Stellen gemacht und ich verweise noch mal gerne auf den Zukunftsplan der IFLA, über den wir jederzeit reden können und der öffentlich zugänglich ist. Über diesen Plan haben wir auch schon mit Repräsentanten sowohl der Volunteers als auch der Vertreter der neuen Regionalbereiche der IFLA diskutiert. Dieser Plan ist der entscheidende Maßstab für alles, was wir tun.

 

»Wir haben nicht gegen unsere eigenen Grundsätze verstoßen und schon gar nicht gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit.«

 

Im aktuellen Artikel des Biblioteksbladet wird auch aus einer E-Mail von drei IFLA- Vorstandsmitgliedern zitiert, die mehrmals auf schwerwiegende Probleme im Verband hinweisen.

Auch diese E-Mail ist leider nicht sehr konkret.

Das kann man auch anders sehen. Aber der Inhalt ist doch trotzdem richtig.

Ja, auch diese E-Mail hat dazu beigetragen, dass der Generalsekretär schlussendlich entlassen wurde.

Jetzt noch ein Blick nach vorne: Wie kann eine Organisation, die offenbar massiv gegen ihre eigenen Grundsätze – nämlich den Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit – verstoßen hat, wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen?

Wir haben nicht gegen unsere eigenen Grundsätze verstoßen und schon gar nicht gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit. Die Grundsätze, die wir haben und die auf unserer Webseite aufgeführt sind, halten wir hoch. Die wichtige Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der UNESCO beispielsweise im Bereich der Nachhaltigkeit beruht komplett auf unseren Werten. Ich kann nicht akzeptieren, dass behauptet wird, dass das alles zerstört sei. Ich kann nur dagegenstellen, was wir alles tun, und zwar auf Basis unserer Werte.

Die schwedische Investigativ-Journalistin Lisa Bjurwald berichtet in ihrem Biblioteksbladet-Artikel, dass von Meinungs- und Informationsfreiheit im IFLA-Verband und in der IFLA-Zentrale in Den Haag keine Rede sein könne.

Es gibt viele Dinge, die man nicht in die Öffentlichkeit bringen kann, weil sie juristische Implikationen haben. Ich gehöre zu der Art Menschen, die sehr genau darauf achten, wo es juristische Grenzen gibt. Viele Dinge, die behauptet werden, würde ich immer wieder zunächst bei unseren Anwälten hinterfragen, um zu erfahren, wie darauf zu reagieren ist, weil man in große juristische Schwierigkeiten kommen kann, wenn man darauf nicht achtet. Deswegen gibt es viele Dinge, die von außen einfach nicht nachvollziehbar sein können, weil sie unter rechtlichem Schutz stehen. Wenn die schwedische Journalistin das so behauptet, dann sind das ihre Behauptungen. Wir haben niemand daran gehindert, Informationen einzuholen.

 

»Ich kann subjektiv geprägte Erwartungen an die Informationspolitik anderer haben, ob die dann so erfüllt werden, ist eine andere Frage.«

 

Das sieht die schwedische Kollegin anders.

Auf unserer Webseite sind viele Informationen zu erhalten, was sie offenbar nicht wahrgenommen hat, was ich bedauere. Auf unseren Zukunftsplan ist sie zum Beispiel leider nicht eingegangen, obwohl wir überall darauf hingewiesen haben. Die IFLA ist eine große Organisation, und da kann es schon vorkommen, dass wenn man 25 Leute anspricht, nicht alle eine Antwort geben. Das ist aber in anderen Verbänden nicht anders. Man muss sich an die richtigen Informationssprachrohre wenden. Wenn das kritisiert wird, dann muss man über die Art und Weise der Informationssprachrohre sprechen. Man kann aber nicht einfach sagen, man habe keine Information erhalten.

Frau Bjurwald sagt nicht, dass sie keine Information erhalten hat, sondern dass sie nicht ausreichend Information erhalten hat und bei IFLA keinen Willen erkennen konnte, eine öffentliche Aufklärung der Situation voranzutreiben.

Was ausreichend ist und was nicht, ist Interpretationssache. Ich kann subjektiv geprägte Erwartungen an die Informationspolitik anderer haben, ob die dann so erfüllt werden, ist eine andere Frage.

Zum Schluss: Reicht der eingeleitete Kurswechsel aus, um die Zukunft der IFLA zu sichern?

Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir gehen davon aus, dass die Maßnahmen angemessen und ausreichend sind. Nach unserem Kenntnisstand, nach unseren Möglichkeiten und nach unserem Verständnis, was zu tun ist, ist der Zukunftsplan ein Programm, das darauf hinarbeitet und dafür geeignet ist, die Zukunft der IFLA zu sichern.

 

Weitere Beiträge und Informationen zur aktuellen Situation des bibliothekarischen Weltverbands IFLA finden Sie im Themenschwerpunkt »IFLA in der Krise« der BuB-Januarausgabe.

 

Barbara Lison (Foto: Lars Kaempf) ist seit fast 30 Jahren Direktorin der Stadtbibliothek Bremen, eines der größten öffentlichen Bibliothekssysteme in Deutschland. Sie ist eine studierte Bibliothekarin und hat Universitätsabschlüsse in Slawistik, Geschichte und Pädagogik.

Neben ihren Aufgaben in der Bremer Stadtbibliothek engagiert sich Barbara Lison in der Bibliothekspolitik auf nationaler und internationaler Ebene. Sie hatte mehrere Ämter in verschiedenen Bibliotheksverbänden inne, unter anderem als Präsidentin des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) und Präsidentin von Bibliothek Information Deutschland (BID), des nationalen Dachverbands der deutschen Bibliotheks- und Informationsverbände.

Sie war auch in Führungspositionen im European Bureau for Libraries, Archives and Documentation Associations (EBLIDA), unter anderem als Vorstandsmitglied und mehrfach als Vizepräsidentin.

Sie ist Mitglied des IFLA Governing Board, hatte das Amt der Schatzmeisterin inne und ist nun IFLA-Präsidentin. Ihre Präsidentschaft wird von August 2021 bis August 2023 dauern.

Sie ist Expertin für alle Aspekte des Managements von Bibliotheken, insbesondere für Innovation, HRM, Kundenorientierung und Change Management.

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