Ist der ländliche Raum abgehängt?

Die Bibliothek als Partner für gesellschaftliche Begegnung und Kooperation ist auf dem Land häufig Wunschdenken.
Bibliotheksleiterin Katja Hieke Stadtbibliothek Ebersbach-Neugersdorf bei der Überreichung des Sächsischen Bibliothekspreises 2020. Foto: Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken

 

Ort des Lesens, der Literatur, der Bildung, des lebenslangen Lernens, der Nachhaltigkeit, Dritter Ort – die Liste dessen, was Bibliothek sein könnte oder sollte oder vielleicht sogar müsste, ist lang. Und jetzt soll sie noch Ort der Demokratie sein! »Was sollen wir denn noch alles machen?«, steht in den Gesichtern der bibliothekarischen Kolleginnen im ländlichen Raum geschrieben. Bibliotheken seien kommunale Kann-Aufgabe, bekommen sie immer dann zu hören, wenn sie mit Anliegen oder Forderungen zu ihren Unterhaltsträgern gehen. Ausstattung und Personal reichen in den meisten Fällen gerade so aus, um die Öffnungszeiten aufrechtzuerhalten. Priorität hat natürlich die Leseförderung, denn Kinder sind unsere Zukunft! Vielleicht schafft man auch noch, die eine oder andere Lesung und einen Seniorenkreis zu organisieren. Doch schon die Fahrtkosten zur nächsten Weiterbildung trägt die Kollegin selbst und muss die Bibliothek für den Tag schließen. Der Autor übertreibt kaum, wenn er die Lage von Bibliotheken im ländlichen Raum in Sachsen beschreibt. Sie soll der Verdeutlichung dafür dienen, vor welchen Herausforderungen Bibliotheksarbeit jenseits der großen Städte, aber auch schon der Mittelstädte steht. Worum es in diesem Beitrag gehen soll, ist die Situation der Bibliotheken der größten Sektion des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) – der sogenannten 3B mit über eintausend, also annähernd der Hälfte, der dbv-Mitglieder.1 Dabei handelt es sich um »Öffentliche Bibliothekssysteme und Bibliotheken für Versorgungsbereiche bis zu 50.000 Einwohner und Landkreise mit bibliothekarischen Einrichtungen«, informiert dessen Homepage.2


Betrachtet man die personelle Ausstattung und demzufolge die Möglichkeiten, die eine Einrichtung hat, um Veranstaltungen durchzuführen bzw. im Vorfeld sich mit der Konzeption zu beschäftigen, so lässt sich eine Scheidemarke erkennen. Bis zu einer Größe von 10.000 Einwohnern haben Bibliotheken durchschnittlich eine, bei 15.000 Einwohnern ungefähr drei Mitarbeiterstellen. Bei 20.000 finden sich auch schon einmal 5 Vollzeitäquivalente (VZÄ).3 Es sind also Allrounder, mit denen wir es in Bibliotheken dieser Größenordnung zu tun haben. Mit der Demokratiearbeit verhält es sich jedoch so, wie in ihrem Ursprungsland: Man muss frei sein von (ablenkender) Arbeit, um am gesellschaftlichen Aushandlungsprozess (wenigstens stückweise) teilzuhaben. Die finanzielle und personelle Ausstattung der Bibliotheken im ländlichen Raum entscheidet darüber, inwieweit sich Bibliothekarinnen mit Dingen über das Kerngeschäft hinaus beschäftigen können. Selbstverständlich beeinflussen auch Naturell und persönliche Neigung der Mitarbeiterinnen das Außenbild einer Bibliothek. Wenn jedoch die Entwicklung einer Bibliothek ausschließlich bei ihren (zu wenigen) Mitarbeitenden liegt, so wird sich die Schere zwischen großen Städten und ländlichem Raum immer deutlicher öffnen, was unter anderem auch ein Gefühl von »abgehangen sein« produziert. Notwendig ist eine klare Positionierung von Kommune, Land und Bund mit gleichzeitig angemessener Ausstattung des Bibliothekswesens.

Stärkung des ländlichen Raums!

Bibliotheken sind ihrem Selbstverständnis nach natürliche Orte der Begegnung. Die Bewohner eines Ortes treffen sich, tauschen sich untereinander aus und nicht nur Medien. Bibliotheken benötigen neben der Unterstützung ihrer Unterhaltsträger auch den Blick für mögliche Kooperationen. In Sachsen entwickeln gerade die Landeszentrale für politische Bildung zusammen mit der Landesfachstelle und in Abstimmung mit dem Landesverband des dbv Formate zur Demokratiearbeit im ländlichen Raum. Zudem gibt es bereits Beispiele, wie erste Projekte von Seiten der Landesregierung initiiert werden.4 Zwei Bibliotheken sind Kooperationspartnerinnen im Projekt »Orte der Demokratie« des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG).5 Involviert sind die Stadtbibliotheken Ebersbach-Neugersdorf (mit 11.500 Einwohnern und 3,4 Mitarbeiterstellen) und Hoyerswerda (mit 31.500 Einwohnern und 9,13 Mitarbeiterstellen).

Ihre Aktivitäten und Erfahrungen werden im ausführlichen Bericht in der BuB-Juliausgabe (Seite 404 ff.) vorgestellt. Lesen Sie den Artikel gleich in der BuB-App. Weitere Informationen zur App unter: https://b-u-b.de/bub-app

[1] Die Ausführungen beziehen sich auf das Bundesland Sachsen mit 408 Öffentlichen Bibliotheken, wovon 169 hauptamtlich und 239 nebenamtlich geführt werden. Der Landesauftrag der Landesfachstelle für Bibliotheken umfasst deren Betreuung mit Augenmerk auf den ländlichen Raum.

[2] Vgl. https://www.bibliotheksverband.de/sektionen (04.08.2022).

[3] Wnn die Bibliothekarin nicht selbst im Berufsverband ist, bekommt sie auch nicht diese Zeitschrift kostenfrei. Da es aber in kleinen Bibliotheken keinen Etat für Fachpresse gibt, erreicht sie auch dieser Beitrag nicht, der eigentlich eine Lanze für sie brechen will. Vielleicht könnte eine Kooperation zwischen BID und dbv diese fachliche Informationslücke schließen?

[4] Vgl. Gemeinsame Förderrichtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung zur Förderung von Maßnahmen zum Aufbau von Sozialen Orten und Orten der Demokratie als Orte des Gemeinwesens (Förderrichtlinie Orte des Gemeinwesens – FRL Orte) Vom 22. Juni 2021,  https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/19219.1#ef (04.08.2022).

[5] Vgl. https://www.demokratie.sachsen.de/orte-der-demokratie-3971.html (04.08.2022).

Dr. Robert Langer, Studium der Slavistik, Philosophie, Germanistik/DaF und Bibliotheks- und Informationswissenschaft, leitet seit 2020 die Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken in Chemnitz.

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