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Jenseits des Atlantiks: Politische Bildung in US-amerikanischen Public Libraries

Wissensvermittlung, Wissenschaftskommunikation, Förderung der Dialogfähigkeit: Drei Handlungsfelder für Bibliotheken, um politische Bildung zu fördern.
Politische Bildungsarbeit in der Boston Public Library (2019).
Politische Bildungsarbeit in der Boston Public Library (2019). Foto: Anne Rethmann

 

Auf die Strukturprobleme liberaler Demokratien geben verstärkt autoritäre bis rechtsextreme Parteien und Akteure vereinfachende Antworten und sie sind dabei zunehmend erfolgreich. Dies wirft Fragen des Umgangs damit auf und lässt auch die Bildungsarbeit nicht unberührt: Wann schlägt notwendige Kritik am Bestehenden in Zynismus, in narzisstische Besserwisserei und/oder Wissenschaftsfeindschaft um? Wann wird Meinungsfreiheit zur Hetze und wie sinnvoll ist es, mit Fakten gegen Verschwörungsmythen vorzugehen, wenn sogar ein Teil der Anhängerschaft selbst daran nicht glaubt? Im Gegensatz zu populistischen Antworten setzt eine politische Bildung, die eigenständiges Denken und politische Teilhabe fördern will, auf ein Mehr an Komplexität. Ihre Aufgabe ist es, komplexe Sachverhalte verstehbar zu machen und Bibliotheken können dafür ein passendes Forum bieten.1

Im Folgenden werde ich einen Ausschnitt aus meiner 2021 abgeschlossenen Masterarbeit vorstellen und anhand von Beispielen aus den USA aufzeigen, inwiefern Bibliotheken einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung leisten können.2 Auf drei entscheidende Handlungsfelder möchte ich dabei aufmerksam machen, die gerade in ihrem Zusammenspiel einer politischen Bildungsstrategie in Bibliotheken Kontur verleihen Wissensvermittlung, Wissenschaftskommunikation und Förderung der Dialogfähigkeit. Bevor ich auf diese Punkte und die entsprechenden Formate eingehen werde, soll zunächst aber kurz skizziert werden, was hinter dem Begriff der politischen Bildung steht.

 

Was beinhaltet politische Bildung?

Politische Bildungsarbeit und Bibliotheken teilen sich zwei charakteristische Merkmale: ihr Engagement im Bereich der nonformalen Bildung und der Anspruch, Möglichkeiten für lebenslanges Lernen zu eröffnen. Demokratie ist nichts Starres. Sie muss auf veränderte Bedingungen (wie Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Pandemien, Kriege) reagieren können und dies schlägt sich auch auf individueller Ebene nieder. So schreibt der Soziologe Oskar Negt dann auch: »Demokratie ist die einzige staatlich verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – früh, im Kindergarten, aber auch im hohen Alter.«3 Die Vermittlung von Orientierungswissen, wie Negt politisches Grundlagenwissen passend bezeichnet, müsse zudem die individuellen Lebensrealitäten der Adressaten berücksichtigen.4 In »Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen«5 beschreibt er drei Ebenen, die im Bildungsprozess adressiert werden sollten:

  1. Nähe zu individuellen Interessen
  2. gemeinsame Interessen einer Gruppe
  3. größere gesellschaftliche Zusammenhänge

Generelles Ziel der politischen Bildung, so lässt sich zusammenfassen, ist die Vermittlung der Fähigkeiten, politische Strukturen und Sachverhalte zu begreifen, historisch-politisches Grundlagenwissen sich anzueignen, wissensbasierte Urteile zu fällen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen
(civic literacy). Dabei geht es nicht mehr nur um die reine Weitergabe von Institutionenwissen und verfassungsrechtlichen Kenntnissen, sondern auch um die aktive Förderung politischer Teilnahme. Dieser Ansatz setzt also voraus, dass Demokratie nicht technokratisch im Sinne von Effizienz und Problemlösung verstanden wird, sondern vielmehr als eine potenziell individuelle Freiheit ermöglichende Gesellschafts-, Staats- und Regierungsform.

Soziales Lernen, welches zusammen mit dem politischen Lernen die politische Bildungsprozesse kennzeichnet,6 zielt auf den Nahbereich und hat den Anspruch, Kompetenzen wie Empathie- und Kooperationsfähigkeit zu fördern. Politisches Lernen ist zwar auf diese Kompetenzen angewiesen, geht aber in der Zielsetzung über den Nahbereich hinaus. Hierfür sind Analysekompetenz, Konfliktfähigkeit, Absehen von eigenen Interessen, Folgeabschätzung und ganz besonders Urteilskraft unerlässlich. Die Förderung dieser letztgenannten Fähigkeiten kennzeichnet das politische Moment der politischen Bildung. Wenn politische Bildung dagegen auf soziales Lernen reduziert wird, wie es teilweise in gegenwärtigen Formaten der Demokratiebildung zu beobachten ist,7 kann sie eine entpolitisierende Wirkung haben und zur Trivialisierung politischer Angelegenheiten führen. Ein arbeitsteiliges Vorgehen im Sinne einer einseitigen Fokussierung auf soziales Lernen ist daher kontraproduktiv und sollte auch in den Bibliotheken als solche vermieden werden. Wie können also komplexe politische Sachverhalte niedrigschwellig vermittelt und gemeinsam diskutiert werden? Wie lassen sich soziales und politisches Lernen sinnvoll in Bibliotheken verbinden? Mit welchen Formaten können Bibliotheken den Sinn für das Politische stärken und somit eine wertvolle Übersetzungsleistung zwischen Politik und Zivilgesellschaft übernehmen? Ein Blick jenseits des Atlantiks kann hierfür Impulse geben.

Handlungsfelder – Potenziale und Herausforderungen

Meinen Interviewpartnerinnen von der New York Public Library (NYPL) zufolge teilt sich die Zielsetzung der NYPL im Bereich civic education in drei Sparten auf: civic knowledge/information, civic dispositions/attidtudes und civic behavior/action. Wissensvermittlung, Förderung der Urteilsbildung und der Handlungsfähigkeit sollen somit im Zentrum der entsprechenden Formate stehen. Allerdings sei es nicht immer einfach, Menschen für Programmformate zu interessieren, die in irgendeiner Form mit civic education betitelt werden. Viele Menschen würden damit ein sehr statisches Konzept verbinden: »They see government as something which is far removed and not really working in anyone‘s favor other than a small bunch of old white men.« (Anita Favretto, NYPL) Ähnliche Reaktionen lassen sich auch in Deutschland feststellen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass politische Bildung oft fälschlicherweise mit ideologischer Indoktrination assoziiert und selten mit einem emanzipatorischen Potenzial in Verbindung gebracht wird.8 Mit folgenden Bildungs- und Diskussionsformaten wollen amerikanische Bibliotheken diesem Trend entgegenwirken.

Handlungsfeld: Wissensvermittlung

Wissensvermittlung kann unterschiedliche Formen annehmen. Die Arbeit des Schomburg Center for Research in Black Culture der NYPL vertritt – ähnlich wie das Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek – einen historisch-politischen Ansatz und nimmt den eigenen Bestand als Ausgangspunkt für die Vermittlungsarbeit:

They are very invested in civics programming and engagement and have a really robust (...) almost a summer camp for young black youth who are kind of interested in the world of politics and government and civic engagement and are interested in developing skills. The program, that they‘ve created around this, is built around some of the holdings that are in the Schomburg collections. So I think one of the things that is at the core of that program is really helping the black and colored youth who are in that program to see themselves in history and to see how other people who are black have been part of shaping the history of this country in a positive way. Anita Favretto, NYPL

Wissensvermittlung setzt nicht immer diese aktive Rolle der Bibliothek als Kuratorin voraus. Sie kann auch indirekt erfolgen, indem sie die einzelnen Individuen dazu befähigt, sich selbst zu helfen und vertrauenswürdige Informationen zu beschaffen. Dieser Aspekt fällt klassisch in den Bereich der Informationskompetenzvermittlung. Darüber hinaus engagiert sich die NYPL stark in Informationskampagnen zu Wahlen und anderen öffentlichen Angelegenheiten, zum Beispiel zum 2020 Census9. Die Queens Public Library (QPL) hat mit ihrem Hip Hop-Programm ebenfalls auf den 2020 Census aufmerksam gemacht und damit vor allem ein jüngeres Publikum angesprochen.10  

Das Wahlsystem in den USA ist komplizierter als in Deutschland, da sich die Bürger/-innen vorab selbst registrieren müssen, um überhaupt wählen zu können. Die Bibliotheken bieten hierfür umfangreiches Informationsmaterial an, das sich meist auf die technisch-operative Seite des Wahlverfahrens bezieht. Die American Library Association (ALA) hat dazu ein Informationspapier für diejenigen Bibliotheken verfasst, die ihre Nutzerinnen und Nutzer zur Wahlbeteiligung motivieren wollen.11 Ferner werden vor und nach Wahlen auch entsprechende Themenveranstaltungen und Podiumsdiskussionen landesweit durchgeführt. Die NYPL hat im Wahljahr 2020 auch entsprechende Literaturempfehlungen auf ihrer Website veröffentlicht, die Election Reading List: Read. Think. Vote. 

Die Boston Public Library hat eine sehr schöne Möglichkeit des inzidentellen Lernens geschaffen, indem sie eine Kooperation mit dem öffentlichen Sender WGBH eingegangen ist. Dieser sendet unter der Woche für drei Stunden live aus dem Café der Bibliothek am Copley Square. In der Sendung werden vor allem tagespolitische und stadtrelevante Themen mit eingeladenen Gästen diskutiert.

Auch meine Interviewpartner/-innen von der Queens Public Library (QPL) betonten, dass civic education in den letzten Jahren wieder verstärkt zum Thema für Öffentliche Bibliotheken geworden ist. So gebe es seitens der ALA und des Institute for Museum and Library Services (eine unabhängige Bundesbehörde) vermehrt spezielle Fördermittel, die explizit für diesen Bereich der Programmarbeit vorgesehen sind. Die QPL habe selbst an so einem Projekt teilgenommen. Mit dem Projekt sollte das eigene Personal in Rechtsfragen und Immigrationsverfahren geschult werden mit dem Ziel, für diese Frage sensibilisiert zu werden und auch Rechtsinformation anbieten zu können, die den Bibliotheksnutzenden ermöglicht, sich mit entsprechenden Partnerorganisationen in Verbindung zu setzen. 

In Form von Einbürgerungskursen sei aber schon lange politische Bildung in der QPL mit ihrem in den 1970er-Jahren gegründeten New Americans Program (NAP) präsent. Es sei hier angemerkt, dass diese Einbürgerungs- und Integrationskurse in den USA in Öffentlichen Bibliotheken stattfinden und nicht wie in Deutschland unter anderem in Volkshochschulen. Der Vorteil der amerikanischen Bibliotheken ist allerdings, dass sie über dieses Angebot auch auf andere Bereiche der Bibliothek aufmerksam machen können. Dadurch ist vor allem auch die Möglichkeit eines inzidentellen Lernens und eines Kennenlernens anderer Menschen und Themen jenseits der Einbürgerungskurse geschaffen. 

Wie dieser kleine Einblick veranschaulicht, haben die amerikanischen Public Libraries ein aktives Rollenverständnis, wenn es darum geht, politische Bildung über den Zugang zu und die Aneignung von Wissen zu ermöglichen. Dies zeigt sich einerseits in der umfangreichen Zusammen- und Bereitstellung politisch relevanter Informationen und andererseits in der Vermittlungsarbeit, mit der zum Beispiel das Schomburg Center über den Bestand versucht, andere Perspektiven und Wahrnehmungsweisen auf Geschichte und Politik aufzuzeigen und somit auch Handlungsmöglichkeiten sichtbar zu machen.

Handlungsfeld: Wissenschaftskommunikation

Externe Wissenschaftskommunikation ist im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich durchaus etabliert – besonders in Naturkunde- und Technikmuseen, wo auch die meisten Citizen Science-Projekte angesiedelt sind. Die Vermittlung von sozialwissenschaftlichen und vor allem rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen jenseits der Universitäten ist dagegen in Deutschland selten. Das war nicht immer so. Formate wie der Heute Abend Kellerklub des Hessischen Rundfunks haben gezeigt, dass sich komplexe und schwierige Fragen auch allgemeinverständlich diskutieren lassen. Eine bemerkenswerte Sendung war die mit dem Juristen Fritz Bauer, der im Dezember 1964 mit einer Gruppe von jungen Menschen über die damals geführten Auschwitz-Prozesse in Frankfurt diskutierte.12 

In den USA ist es selbstverständlicher, dass Professorinnen und Professoren auch Vorträge vor einem fachfremden Publikum halten. Die QPL hat ein besonders interessantes Format mit einer Partnerorganisation ins Leben gerufen. Diese Organisation mit dem Namen »Let’s talk democracy« ist auf die Bibliothek zugekommen mit der Absicht, politische Bildung wieder mehr Raum zu geben:

And it started in the library branches. (…) they bring up college professors, particularly from Queens College, which is a part of the City University of New York. And they have once a month (…) talks, especially after the election, (…) before the election. (…) I‘d say they had about 50 people come. And even at one of them, they actually asked people if they were interested in doing more to sign up to work with the League of Women Voters or other organizations that promote civic engagement. And there‘s been this one professor at Queens College. He now has a fan club I would say. There‘s a lot of people tune in to hear him and then there‘s an interactive Q&A. Fred Gitner, QPL

Dieses Beispiel verdeutlicht gut, dass politische und rechtliche Themen begeistern können und Professorinnen und Professoren sogar einen »fan club« dadurch gewinnen. Es zeigt, dass Menschen empfänglich für komplexe und vermeintlich trockene Themen sind und dass politische Bildung auch anhand von Rechtsfragen an Kontur gewinnen kann. Eine solche Wissenschaftskommunikation stellt eine niedrigschwellige und dem Dialog zugewandte Wissensvermittlung dar. Sozial- und rechtswissenschaftliche Wissenschaftskommunikation befindet sich somit an der Schwelle zwischen Wissensvermittlung und Dialogbereitschaft. Sie weist insofern einen demokratischen Charakter auf, als sie das Recht auf aktuelle Erkenntnisse aus diesen Bereichen allen zugesteht und auch ermöglicht.

Handlungsfeld: Förderung der Dialogfähigkeit

Kommunikations- und Dialogfähigkeit impliziert immer auch Kritikfähigkeit oder anders formuliert: Für Kritik müssen die Einzelnen offen sein, um überhaupt in einen Dialog mit anderen treten zu können und nicht einfach nur in Rechthaberei zu verharren. Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie und der starken politischen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in nicht mehr miteinander sprechende Gruppierungen hat die Brooklyn Public Library (BPL) Anfang des Jahres 2021 ein neues großes Programm mit dem Namen »Repairing America« ins Leben gerufen. Ein Fokus des Programms liegt darin, neue Dialogräume (vor Ort und digital) zu ermöglichen, die für Kleingruppen von vier bis sechs Personen ausgelegt sind. Die Nichtregierungsorganisation Living Room Conversations ist eine der Partnerorganisationen, mit deren Hilfe und Methoden dies ermöglicht werden soll:

My team has been trying to offer opportunities for adults to gather, to be able to learn, to listen to each other again, speak from experience, share and maybe come together. Or perhaps become a little more empathetic about somebody else‘s experience. (…) We worked with a couple of organizations, one is called Living Room Conversations.org. So I use some of the curriculum they provide with the questions and you do the conversation in three rounds. So everybody has an opportunity to speak. You all agree to a set of ground rules from the very beginning. So everybody says: Yes, I will respect people‘s opinion, I will not interrupt people. So there‘s a set of ground rules for each of these conversations. We‘ve done those. Of course it‘s all done virtually now through Zoom because of Covid but ideally, before Covid, we were having these in person like in a conference room in the library. Gianna Gifford, BPL

Auf den ersten Blick wirkt dieses Format sehr starr und regelgeleitet, weniger dialogfördernd. Aber in Anbetracht des konfliktreichen gesellschaftlichen Kontextes schaffen vielleicht solche Verhaltensregeln überhaupt erst die Möglichkeit, ins Gespräch miteinander zu kommen. 

Seit ein paar Jahren ist Dialogförderung an der NYPL ebenfalls im Programmfokus, und zwar in Form von Community Conversations mit dem Ziel »to bring communities together on issues that they may or may not agree on«. (Anita Favretto, NYPL) Vor allem vor Wahlen werden diese verstärkt angeboten. 

Ähnlich wie die BPL mit ihrer Programmreihe »Connecting to America through Poetry« fasst die NYPL unter Community Conversations auch Lesekreise, die sich mit Büchern zu politischen Themen befassen.

Resümierend kann an dieser Stelle gesagt werden, dass auch hier die aktive und gestalterische Rolle sichtbar wird, die die Öffentlichen Bibliotheken in den USA in Bezug auf politische Themen einnehmen. Insbesondere die Bibliotheken mit einem großen eigenen Bestand nehmen immer wieder Bezug zu diesem, um darüber politische Diskussionen anzuregen und Dialogbereitschaft zu stärken. 

Zusammenfassung

Politische Bildung ist kein statisches Bildungsangebot und ist auf längerfristige Prozesse angewiesen.  Sie stellt somit Anforderungen an die Bibliothek oder besser gesagt: an die Bibliotheksleitung und auch an die Mitarbeitenden. Sie erfordert Zeit und auch personelle und räumliche Kapazitäten. Dies setzt gleichzeitig voraus, dass politische Bildungsangebote nicht verstanden werden als »public-relations-Projekte« – wie ein Interviewpartner zu mir meinte –, welche kurzfristig dafür sorgen, dass die Bibliotheksleitungen und geldgebenden Institutionen zwar zufrieden sind, es aber eigentlich keinen Grund gibt, zufrieden zu sein, da die Zielgruppen nicht erreicht werden und/oder das Projekt keine langfristige Effekte erzielt.

Die aktive Rolle im Bildungsprozess, die US-amerikanische Bibliotheken einnehmen – sei es in Form von aufsuchender Bibliotheksarbeit und kontinuierlicher Arbeit mit dem Bestand, von umfassenden Aufklärungskampagnen zu Wahlen und Einbürgerungsverfahren, Rechtsinformation oder in Form von Moderation und/oder Ermöglichung von sogenannten civic discourses, community conversations – schafft Vertrauen auf Seiten der Nutzenden und zeigt, wie politisches und soziales Lernen sinnvoll miteinander verbunden werden kann. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Formate ist dabei ausschlaggebend und auch die gestalterische Rolle, die diese Bibliotheken einnehmen. 

Dieser Pragmatismus, der die Alltagserfahrungen der Menschen nicht aus dem Blick verliert, macht die amerikanischen Public Libraries in der Tat zu einer wertvollen Vergleichsfolie für andere Bibliotheken. Der gesellschaftliche Kontext ist in den USA wesentlich polarisierter als in Deutschland und das zwingt die Bibliotheken dort nochmals viel dringlicher, einerseits Position zu beziehen und andererseits aber auch Räume für Dialoge offen zu halten. Die Einsicht, dass nicht mit allen diskutiert werden kann14 und dass die Wirkung von Bildungsangeboten auch Grenzen hat, gehört genauso dazu wie die Bereitschaft zum Dialog mit denjenigen, die eine andere Meinung vertreten. Dieser Ansatz ist auch diesseits des Atlantiks von aktueller Relevanz.

 

1 Öffentliche Bibliotheken stehen in diesem Artikel im Vordergrund. Damit soll aber nicht suggeriert werden, dass das Thema der politischen Bildung keine Relevanz für Wissenschaftliche Bibliotheken hat, vgl. bspw. Kranich, Nancy (2019): Academic libraries as civic agents. In: Timothy Shaffer und Nicholas Longo (Hrsg.):  Discussing Democracy: A Primer on Dialogue and Deliberation in Higher Education. Sterling, VA: Stylus Publishers
2 Einen weiteren Aspekt meiner Abschlussarbeit, der das Verhältnis von Bibliotheken, Demokratie und politischer Bildung theoretisch zu fassen versucht, wird in einem Artikel in BIBLIOTHEK – Forschung und Praxis (2022), 46(2) erscheinen. DOI: https://doi.org/10.1515/bfp-2022-0010
3 Negt, Oskar (2018): Gesellschaftspolitische Herausforderungen für Demokratiebildung. In: Steve Kenner und Dirk Lange (Hrsg.): Citizenship Education: Konzepte, Anregungen und Ideen zur Demokratiebildung (Politik und Bildung), Bd. 84, S. 21. Frankfurt/M.: Wochenschau
4 Negt (2018), S. 25
5 Negt, Oskar (1968): Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie der Arbeiterbildung. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt
6 Vgl. Wohnig, Alexander (2017): Zum Verhältnis von sozialem und politischem Lernen / Eine Analyse von Praxisbeispielen politischer Bildung. Springer VS
7 Vgl. Widmaier, Benedikt (2020): Flickenteppich Politische Bildung? Anmerkungen zu einer möglichen Zäsur der Professionsgeschichte. In: Moritz Peter Haarmann, Steve Kenner und Dirk Lange (Hrsg.): Demokratie, Demokratisierung und das Demokratische: Aufgaben und Zugänge der Politischen Bildung, 63–79. Wiesbaden: Springer VS
8 Zum emanzipatorischen Potenzial vgl.: Adorno, Theodor W. (2013): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt/M.: Suhrkamp
9 ALA (2020): Libraries’ Guide to the 2020 Census. American Library Association
10 Vgl. McDaniels, Ralph, Jill Anderson und Kim McNeil Capers (2022): The Power of Hip Hop and the Library: Narrative, Echoing the Global in the Local, and Connection. The International Journal of Information, Diversity, & Inclusion 6 (1/2), 55
11 ALA (2020): Libraries and Voter Engagement. American Library Association
12 Bauer, Fritz (1964). Heute Abend Kellerklub. Junge Leute diskutieren mit Prominenten. Hessischer Rundfunk.URL: https://www.youtube.com/watch?v=72XO8-zrJe8 
13 Die Frage, wann etwas zur Hetze wird und für eine Demokratie zwingend ausgeschlossen gehört, ist stets eine der konkreten Kontextanalyse. Sie verlangt aber Urteilskraft und Positionierung (auch seitens der Bibliotheken) und ist somit im Grunde genommen selbst Bestandteil der politischen Bildung.

Anne Rethmann studierte Ethnologie, Politik und Recht an der LMU München mit einem Fokus auf Politische Theorie/Demokratietheorie und Geschichte der Menschenrechte. Im Jahr 2021 schloss sie ihr wissenschaftliches Referendariat an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ab. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld und arbeitet zu historisch-politischer Bildung, Bildung gegen Antisemitismus und Erinnerungskulturen.

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