Mit Zivilcourage gegen Hass im Netz

Mit dem Projekt "#dubisthier" haben die Bücherhallen Hamburg und der Verein "ichbinhier" eine Kooperation gegen Hassrede und Fake News im Internet gestartet.
In der Bücherhalle Elbvororte diskutierten Expertinnen und Experten gemeinsam mit dem Publikum unter dem Titel "Hass im Netz, Hass auf der Straße – Was kann ich konkret dagegen tun?". Foto: Bücherhallen Hamburg

Die Kommunikation im Internet und in sozialen Medien bringt neue gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und Herausforderungen mit sich. Hassrede und Fake News in den sozialen Medien stellen eine Gefahr für unser demokratisches Miteinander dar, weil Menschen sich aus der öffentlichen Kommunikation zurückziehen und ihre Meinung nicht mehr frei äußern.

Deshalb haben die Bücherhallen Hamburg gemeinsam mit der in Hamburg gegründeten Counterspeech-Initiative ichbinhier e.V. im Jahr 2020 das Projekt "#dubisthier – Mit Zivilcourage gegen Hass im Netz" ins Leben gerufen, um die Debattenkultur, die digitale Medien- und Informationskompetenz sowie ein vielfältiges Meinungsbild in den sozialen Medien im Sinne einer demokratischen, diversen, weltoffenen und informierten Gesellschaft zu stärken. Das Projekt, das noch bis Sommer 2022 läuft, wird im Fonds "hochdrei – Stadtbibliotheken verändern" der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Ziel dieser Förderung ist es, Kooperationsprojekte von Stadt- und Gemeindebibliotheken und lokalen Partnern zu unterstützen, um Bibliotheken als Orte der Teilhabe und Begegnung für die offene Stadtgesellschaft zu stärken.

Die Kooperationspartner

Der Hamburger Kommunikationsberater Hannes Ley gründete Ende 2016 die Facebook-Aktionsgruppe "#ichbinhier", um etwas gegen Hate Speech zu unternehmen. Dort versammeln sich heute rund 43 000 Menschen, die sich regelmäßig dem Hass im Netz entgegenstellen. Die Mitglieder gehen dazu in täglichen Aktionen in die Kommentarspalten der reichweitenstärksten Medien, üben Gegenrede und leisten damit einen wichtigen Beitrag für digitale Zivilcourage. Im Jahr 2017 gründete sich aus der Gruppe heraus der "ichbinhier e.V." mit fast 150 Mitgliedern. Der Verein klärt über Hate Speech auf und bietet Organisationen, Institutionen, Bildungseinrichtungen und Unternehmen praxisnahe Bildungsformate an.

Die Bücherhallen Hamburg sind mit jährlich 4,8 Millionen Besucherinnen und Besuchern die publikumsstärkste Kultureinrichtung Hamburgs und zugleich das größte kommunale Bibliothekssystem in Deutschland. Als niedrigschwellige kommunale Orte für Information, Bildung und Kultur erreichen 32 Bibliotheken in allen Stadtteilen, zwei Bücherbusse und die Zentralbibliothek unterschiedliche Bevölkerungsgruppen.

Die Projektziele

Ziel des Projekts ist es, mit einer Veranstaltungsreihe Bürger/-innen über das Thema zu informieren, mit ihnen zu diskutieren und sie zu ermutigen, in Zukunft selbst im digitalen Raum Zivilcourage zu zeigen und Gegenrede zu praktizieren. In den Bücherhallen Hamburg werden dazu Informations- und Diskussionsveranstaltungen angeboten, die das Thema Hassrede aus verschiedenen Blickwinkeln in den Fokus nehmen. Ein wichtiges Format der Veranstaltungsreihe sind die sogenannten Bootcamps des "ichbinhier e.V.", in denen Interessierte anhand einer Online-Simulation lernen, wie sie aktiv mit Gegenrede auf Hasskommentare und Falschinformationen in sozialen Medien reagieren können.

Des Weiteren sollen das Konzept und der gewonnene Erfahrungsschatz an weitere Bibliotheken in Deutschland vermittelt werden, um das Thema dort nachhaltig zu verankern. Dafür soll ein Transferleitfaden entwickelt werden, der wiederum die Grundlage für Train-the-Trainer-Workshops in 2022 bilden wird.

Umsetzung der Projektziele

Am Beginn stand ein Team-Aufbau: Zwei neue Kolleginnen wurden als Projektkoordinatorinnen mit je 50 Prozent Arbeitszeit eingestellt, bezahlt aus den Fördermitteln. Seitens der Bücherhallen Hamburg übernahm der Autor dieses Beitrags, Christoph Gärtner, mit zehn Wochenstunden für übergreifende Aufgaben die Projektleitung.
Im September 2020 begann das Team, eine Veranstaltungsreihe mit Infoveranstaltungen, Diskussionen, Lesungen, Gesprächsformaten und Workshops zu organisieren, in denen die Themen Hate Speech, Fake News, Verschwörungserzählungen und Desinformation in Kooperation mit lokalen und überregionalen Initiativen, Expertinnen und Experten, Autorinnen und Autoren, Aktivistinnen und Aktivisten, Politikerinnen und Politikern sowie Behördenvertreterinnen  und -vertretern aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden sollen.

Aufgrund der Pandemie wurden viele der Veranstaltungen von vorn herein digital angeboten, wie zum Beispiel eine Online-Lesung mit der Autorin und Aktivistin Kübra Gümüşay oder Workshops zu den Themen Fake News und Verschwörungserzählungen. Auch die Gegenrede-Planspiele des "ichbinhier e.V." wurden von Anfang an digital angeboten, was sich im Nachhinein als glücklich herausstellte. Obwohl eine Online-Veranstaltung die Diskussion vor Ort und den zwischenmenschlichen Austausch nicht immer eins zu eins ersetzen kann, eignen sich die Projektinhalte gut für eine digitale Umsetzung. Zudem können auf diese Weise auch Menschen außerhalb Hamburgs leichter einbezogen werden, wie zum Beispiel bei der Veranstaltung "Geschichten aus Ost und West", die anlässlich des Tags der Wiedervereinigung gemeinsam mit dem ebenfalls von der Kulturstiftung geförderten Projekt "Faktenforschen" der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt durchgeführt wurde.

Mit Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie konnten vermehrt Veranstaltungen mit Publikum vor Ort organisiert werden. So fand zum Beispiel Anfang September ein Gesprächsformat unter freiem Himmel in Kooperation mit dem Stadtteilkulturzentrum Zinnschmelze im Stadtteil Barmbek statt, und in der Bücherhalle Elbvororte diskutierten Expertinnen und Experten gemeinsam mit dem Publikum unter dem Titel "Hass im Netz, Hass auf der Straße – Was kann ich konkret dagegen tun?" unter anderem Ansätze aus der Antidiskriminierungsarbeit. Darüber hinaus wurde eine hybride Durchführung der Podiumsdiskussion "Wie gehen Hamburg und seine Bürger*innen mit Hass im Netz um?" geplant, die vor Ort in der Zentralbibliothek stattfand und über den Youtube-Kanal der Bücherhallen Hamburg live gestreamt wurde.

Adressaten von Hate Speech sind Personen oder Personengruppen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer gewählten Identität oder ihrer Religionszugehörigkeit mit diskriminierenden Aussagen konfrontiert sind. Diese Aussagen basieren oft auf Fake News und Verschwörungserzählungen. Deshalb wurden diese vieldiskutierten Themen in die Veranstaltungsplanung aufgenommen und im Rahmen von Workshops mit dem Projekt "Kurswechsel – Ausstiegsarbeit rechts" und der Initiative "Der goldene Aluhut" angeboten. In den Workshops können die Teilnehmenden unter anderem lernen, wie sie mit Angehörigen oder Bekannten umgehen, die Verschwörungserzählungen verbreiten.

Die klassische Lesung mit Publikumsgespräch ist in der Bibliothek ein weiteres Format, um Menschen über ein Thema zu informieren und mit ihnen in den Dialog zu treten. Neben der bereits erwähnten Online-Lesung mit Kübra Gümüşay, in der sie basierend auf ihrem Buch "Sprache und Sein" mit den Teilnehmenden diskutierte, wie Sprache unser Denken und politisches Handeln beeinflusst, fand im November 2021 eine Lesung mit dem ZEIT-Journalisten Yassin Musharbash statt. Er stellte seinen neuesten Polit-Thriller »Russische Botschaften – Die Macht der Fake News« vor und berichtete darüber hinaus über seine Erfahrungen als Betroffener von Hate Speach. Ziel dieser Lesungen war, ein Publikum zu erreichen, welches mit einer Diskussionsveranstaltung womöglich nicht erreicht worden wäre.

Neben den für die breite Öffentlichkeit durchgeführten Veranstaltungen nutzte das Team auch externe Fachtage und Netzwerktreffen, um das Thema zu platzieren: Eine Online-Veranstaltung des Hamburger Landesinstituts für Lehrerfortbildung und Schulentwicklung für Pädagoginnen und interessierte Eltern anlässlich des Safer Internet Day gab beispielsweise Gelegenheit, einen Workshop zum Thema Hate Speech durchzuführen.

Darüber hinaus ist es dem Team wichtig, Veranstaltungen zu konzipieren, in denen von Hate Speech betroffenen Personengruppen die Möglichkeit gegeben werden soll, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und praktische Unterstützung zu erhalten. Zum Programm gehörte deswegen auch ein Gegenrede-Workshop, zielgerichtet für gehörlose Menschen ausgerichtet und entsprechend gedolmetscht. Ein weiteres Bootcamp des Vereins »ichbinhier« richtete sich im Rahmen der Hamburger Pride Week an die LGBTIQ+-Community und im September 2021 fand im Rahmen der Hamburger Klimawoche ein Impulsvortrag statt, in dem gezielt Klimaaktivistinnen und -aktivisten Handlungsoptionen aufgezeigt wurden, mit denen sie adäquat auf Hate Speech und Desinformationskampagnen reagieren können.

Bewerbung des Projekts

Eine gute Bewerbung ist für den Erfolg der einzelnen Veranstaltungen und für die Sichtbarmachung des Projekts ein elementarer Baustein. Alle Termine werden grundsätzlich auf der Website der Bücherhallen Hamburg und auf der Projektwebsite veröffentlicht. Darüber hinaus werden die Veranstaltungen auf den Social-Media-Kanälen Facebook, Instagram und Twitter mit Posts, Instagram-Stories und Tweets beworben. Bei einigen Veranstaltungen schalten wir auf Facebook auch bezahlte Werbung, um die Reichweite zu erhöhen. Klassische Plakate und Handzettel ergänzen die Werbemaßnahmen und zu ausgewählten Anlässen werden Pressemitteilungen veröffentlicht. Viele Menschen können erreicht werden, wenn die Veranstaltungen in größere stadtweite Veranstaltungsreihen eingebettet sind. So waren unter anderem eine Ausstellung in der Bücherhalle Osdorfer Born und die Podiumsdiskussion in der Bücherhalle Elbvororte Teil der Altonaer Vielfaltswoche im Hamburger Bezirk Altona. Auf diese Weise entstanden weitere fruchtbare Synergien mit lokalen Initiativen vor Ort und das stadtweite Netzwerk konnte weitergeknüpft werden.

Ein Corporate Design hilft, das gesamte Projekt in der Öffentlichkeit bekannt zu machen: Hier unterstützte die Hamburger Agentur Bräutigam & Rotermund, die auch ein Logo entwickelte, welches die Grundlage für Plakatvorlagen, Postkarten, Sticker, Roll-Ups sowie die Projekt-Website »dubisthiergegenhass.de« bildet. Die übersichtliche Website hat folgende drei Funktionen: Besucher/-innen der Website finden dort die Terminübersicht der Veranstaltungen und grundlegende Informationen zum Thema Hate Speech. Sie dient außerdem als Referenz und Repräsentation des Projekts für Kooperationspartner/-innen und Multiplikatorinnen und Mulitplikatoren. Und schließlich ist dort der bereits erwähnte Transferleitfaden implementiert, in dem für interessierte Kolleginnen und Kollegen das Konzept und die Inhalte zur Umsetzung eigener Veranstaltungsformate abrufbar sind.

 

Transfer an andere Bibliotheken

Der Transferleitfaden dient als Grundlage für die gemeinsam mit dem Verein "ichbinhier e.V." entwickelten Workshops, in denen das Konzept und das im Projekt erworbene Wissen an interessierte Kolleginnen und Kollegen vermittelt und gemeinsam diskutiert werden sollen. Dabei geht es neben einer Einführung in das Thema Hate Speech und Gegenrede auch um praktische Detailfragen bei der Umsetzung von Veranstaltungen. Welche lokalen Initiativen vor Ort können eingebunden werden, welche bundesweiten Initiativen gibt es? Wie kann ich Akteurinnen und Akteure aus Politik und Verwaltung gewinnen? Welche Literatur gibt es zu dem Thema und was muss ich beachten, damit die Veranstaltung für alle Beteiligten einen sicheren Rahmen hat, der nicht von außen gestört wird?

Geplant sind auf die jeweiligen Bedarfe der Bibliotheken angepasste, praxisorientierte Workshops, die deutschlandweit als analoges Format vor Ort oder digital stattfinden sollen. Wir würden uns freuen, wenn diese Workshops in das Fortbildungsprogramm der einzelnen Fachstellen aufgenommen würden. Gerne bieten wir sie auch direkt einzelnen interessierten Bibliotheken an und stehen darüber hinaus für Fragen und Beratung zur Verfügung. Anfragen an das Projektteam können gerne unter dubisthier@buecherhallen.de gestellt werden.

Fazit

Trotz der Einschränkungen durch die Pandemie ist das Fazit positiv. Auch wenn viele Veranstaltungen digital durchgeführt wurden und somit der physische Ort Bibliothek als Diskussionsforum nicht vollends im Fokus stand, gelang das Projekt gerade wegen der digitalen Optionen ohne große Abstriche. Stand November 2021 haben bisher circa 900 Personen an 35 Veranstaltungen teilgenommen. In den unterschiedlichen Formaten konnten sich Interessierte informieren, miteinander ins Gespräch kommen, diskutieren und in den Planspielen des "ichbinhier e.V." lernen, wie aktive Gegenrede in den sozialen Medien funktioniert und vor allem praktiziert werden kann.

Die Rückmeldungen der Teilnehmenden waren durchweg positiv: Die Bücherhallen werden als wichtige kommunale Einrichtung wahrgenommen, die mit niedrigschwelligen Angeboten zur Informations- und Meinungsbildung beiträgt. Dabei haben organisatorisch aufwendige Formate, wie eine Podiumsdiskussion, genauso gut ihre Wirkung entfaltet wie eine einfach umsetzbare thematische Medienausstellung im Rahmen des Safer Internet Day.

Und schließlich basiert der Erfolg des Projekts vor allem auf der konstruktiven und wertschätzenden Zusammenarbeit mit dem Verein »ichbinhier e.V.«, der mit seinen Gegenrede-Workshops ein unverzichtbarer Teil des Projekts und mit seiner Expertise maßgeblicher Impulsgeber und Gestalter war und ist. Darüber hinaus kann das Projekt nur durch die vielen bereichernden Kooperationen gelingen, die mit unterschiedlichen Vereinen, Initiativen, Expertinnen und Experten, Kunstschaffenden, Behörden et cetera entstanden. Diese ermöglichen es, auf viele bereits vorhandenen Kontakte im lokalen Netzwerk zurückzugreifen, aber auch neue Kooperationspartner/-innen zu gewinnen, von denen viele überrascht, aber zugleich auch begeistert waren, dass eine Bibliothek sich dieses Themas annimmt und Raum und Ressourcen dafür bereitstellt.

Das Team ist jetzt gespannt auf die weiteren Monate, in denen die im Projekt verankerte Idee verwirklichen werden soll, dass Öffentliche Bibliotheken neben den Kernaufgaben der Literatur-, Informations- und Medienkompetenzvermittlung gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen und -partnern einen starken Beitrag für ein demokratisches Miteinander in der Stadtgesellschaft leisten können.

Christoph Gärtner arbeitet seit 2008 als Diplom-Bibliothekar in der Zentralbibliothek der Bücherhallen Hamburg. Nach langjähriger Tätigkeit im Lektorat, wechselte er innerhalb der Zentralbibliothek 2017 in den Fachbereich Vermittlungs- und Programmarbeit. Dort organisiert und begleitet er vor allem Veranstaltungen mit gesellschaftspolitischen Bezügen. Seit Januar 2021 leitet Gärtner das Projekt "#dubisthier – Mit Zivilcourage gegen Hass im Netz" (mit zehn Stunden/Woche), das organisatorisch im Bereich Portal/Digitale Dienste der Bücherhallen Hamburg eingebettet ist.

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