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Viel mehr Öffnungszeiten, gleich viel Personal, wenig Mehrarbeit

Eine Zwischenbilanz nach eineinhalb Jahren »365-Tage-Bibliothek« in Uster: Teil 2 – Welche Auswirkungen hat eine Open Library auf das Bibliothekspersonal?
Innenansicht der Stadt- und Regionalbibliothek Uster. Foto: Roman Weibel
Innenansicht der Stadt- und Regionalbibliothek Uster. Foto: Roman Weibel

 

Die Einführung einer Open Library bringt nicht nur für die Kundschaft eine Veränderung, sondern auch fürs Personal. Davon betroffen ist eher das Berufsbild der Bibliothekarin beziehungsweise des Bibliothekars, weniger die Arbeitsmenge, Arbeitsinhalte oder der Personalbestand. 

In der Schweiz gibt es mittlerweile 40 Open Libraries, kleine, mittlere und große. Eine davon – seit dem Jahr 2019 – ist die Stadt- und Regionalbibliothek Uster. Sie nennt sich »365-Tage-Bibliothek« mit täglichen Öffnungszeiten von 6 bis 22 Uhr. Das Personal zählt zwölf Mitarbeitende in 900 Stellenprozenten: neun Diplom-Bibliothekarinnen und -Bibliothekare, eine Marketingfachfrau, eine kaufmännische Angestellte und ein Bibliotheksleiter. Hinzu kommen sieben Schülerhilfen und 21 Freiwillige. An jedem Arbeitstag abends versorgt eine Schülerhilfe Medien. An jedem Sonn- und Feiertag morgens und nachmittags macht eine Freiwillige einen halbstündigen Rundgang durch die Bibliothek. Die Bibliothek Uster belegt eine Fläche von 1.000 Quadratmetern, befindet sich direkt am Bahnhof, hat 6.000 aktive Kundinnen und Kunden, bietet 47.000 Medien an und zählt 450 Besuche und 800 Ausleihen pro Tag.



Mehr / weniger Personal?

Die Einführung einer Open Library benötigt weder mehr noch weniger Personal. Denn es werden lediglich zusätzliche, unbediente Öffnungsstunden geschaffen. In Uster veränderte sich weder die Anzahl der Mitarbeitenden noch die Stellenprozente.

 

Mehr / weniger Arbeit?

Eine Open Library bringt für das Personal etwas Mehrarbeit. Je kleiner die Bibliothek, umso geringer. Die Schätzung aus Uster liegt bei circa einer halben Stunde pro Arbeitstag, also rund 150 Stunden pro Jahr. Mehrarbeit morgens: Bibliotheksraum aufräumen, Problemlösung von zurückgelassenen nicht ausleihbaren Medien und von Medien mit Gate-Alarm, Technik auf Normalbetrieb umstellen. Mehrarbeit abends: Theke aufräumen und wertvolle Geräte einschließen, Technik auf unbedienten Betrieb umstellen, Rundgang durch Bibliothek. 

Im ersten Jahr als Open Library ist die Mehrarbeit deutlich höher: Tücken der Technik beheben, neue Abläufe einspielen, Checklisten aktualisieren, erhöhte Kundenhilfe, Reaktion bei unangepasstem Verhalten von Kundinnen und Kunden inklusive Check Videoüberwachung, erhöhter Bedarf an Teaminfos und Teamsitzungen. Es empfiehlt sich, im ersten Jahr der Open Library keine anderen großen Projekte anzupacken. 

Mehr / weniger Ausleihdienst?

Eine Open Library hat weder mehr noch weniger Ausleihstunden zur Folge. Uster hatte früher 46 Stunden pro Woche geöffnet. Mit der Open Library blieben die 46 Stunden mit Bedienung bestehen, hinzu kamen 66 unbediente Stunden pro Woche. Es wäre kein gutes Signal an die Kundschaft, mit Start der Open Library die bedienten Zeiten zu reduzieren.

 

Self Service!

Aus Personalsicht die größte Veränderung bringt nicht die Open Library, sondern die Einrichtung der Bibliothek für Self Service. Eine Open Library benötigt zwingend eine Selbst-Ausleih- und eine Selbst-Rückgabestation. Denn die Kundinnen und Kunden wollen während den unbedienten Zeiten Medien zurückbringen und neue holen. Solche Stationen sind für alle Bibliotheken sinnvoll, unabhängig ob Open Library oder nicht. 



Wer eine Open Library plant, ist gut beraten, den Self Service mindestens ein Jahr im Voraus einzuführen, damit sich die Kundschaft daran gewöhnen kann. Die Praxis zeigt, dass Kunden, die gegenüber Self Service skeptisch eingestellt sind, die neuen Geräte bald zu schätzen wissen. Die Einrichtung von Self Service-Stationen entlastet das Personal markant. Es ermöglicht zum einen, die Anzahl Bibliothekarinnen und Bibliothekare an der Theke zu reduzieren. Zum anderen wird Zeit frei für die Einführung neuer Angebote, für Projekte, für Weiterentwicklungen und so weiter.

 

Mehr / weniger Kosten?

Eine Open Library bringt etwas höhere Kosten mit sich, aber nicht fürs Personal. Einmalig sind es Investitionen vor allem in Technik und Infrastruktur. Wiederkehrend sind es Kosten für mehr Reinigung, IT-Betrieb, Energie, Verbrauchsmaterial und eventuell für eine Security abends bei Schluss der Open Library. In Uster wird die Bibliothek von einer externen Firma gereinigt, nicht vom Personal. Mit der Open Library wurde der Reinigungsturnus leicht erhöht.

Change Management!

Bibliotheken sind seit einigen Jahren einem großen Wandel unterworfen. Das Berufsbild der Bibliothekarin beziehungsweise des Bibliothekars verändert sich stark. Früher nahm das Katalogisieren, die Erwerbung von Medien und die Arbeit an der Theke viel Arbeitszeit in Anspruch. Heutzutage saugt man sich die Katalogdaten mit einem Mausklick runter, bekommt die Medien via Standing Order automatisch geliefert und delegiert die Rückgabe und Ausleihe von Medien an die Rückgabe- beziehungsweise Ausleihstation. Und jetzt kommt auch noch die Open Library, bei der sich die Kundschaft selbstständig und ohne Personal in der Bibliothek aufhält. 

Gefragt ist deshalb Change Management. Uster hat mit dem Team einen elfstufigen Change Prozess durchlaufen. Das Team steht hinter der aktuellen Strategie. Die Zufriedenheit ist hoch. Das Personal hat Zeit für neue Angebote und Veranstaltungen. Die Zufriedenheit nährt sich aber auch am hundertfachen positiven Feedback der Kundinnen und Kunden. Es gibt viel Lob für die sehr langen Öffnungszeiten, für die Bibliothek als Dritter Ort, für die vielfältigen Angebote, für die tollen Veranstaltungen.

In Deutschland und der Schweiz gibt es je ein paar Dutzend Open Libraries. Tendenz steigend. Mittlerweile sind viele Erfahrungen von kleinen, mittleren und großen Open Libraries vorhanden, von denen andere Bibliotheken profitieren können. 

Seit Dezember 2023 existiert ein umfassender Leitfaden »Open Library – so funktioniert’s!«. Autor ist Roman Weibel, Leiter der »365 Tage-Bibliothek« von Uster (Schweiz), die seit dem Jahr 2019 als Open Library funktioniert: »Open Library eignet sich für kleine, mittlere und große Bibliotheken und erfüllt das große Kundenbedürfnis nach langen Öffnungszeiten. Das Konzept bewährt sich.« Im 50-seitigen Leitfaden werden Themen wie Konzept, Personal, Juristisches, Technik, Betrieb, Sicherheit, Kommunikation, Probleme, Lösungen und vieles mehr behandelt. Der Leitfaden ist kostenlos verfügbar, via Spezialwebsite der Bibliothek Uster: https://bibiuster-expert.jimdofree.com/365-tage-bibliothek/

Videoüberwachung?

Die Bibliothek Uster hat mit Eröffnung der Open Library eine Videoüberwachung installiert, zur Sicherheit der Besucherinnen und Besucher. Es gibt der Kundschaft während der unbedienten, personallosen Zeiten ein gutes Gefühl, dass der Raum videoüberwacht ist. In Uster hat es bis heute keine einzige Reklamation wegen der Videoüberwachung gegeben. In der Regel hat das Personal nichts mit der Videoüberwachung zu tun. Sie läuft im Hintergrund. Die Videodaten werden nur in den ganz wenigen Fällen von grobem, unangepasstem Verhalten angeschaut, zum Beispiel Diebstahl, Gerätemanipulation, rauchen, übernachten. 



Fazit

Bibliotheken sind großartige Institutionen! Sie sind offen für alle Menschen, verfügen über eine gute Infrastruktur, sind beheizt und mit WLAN, WC und Arbeitsplätzen ausgestattet, bieten eine große Auswahl an Büchern und anderen Medien an und können ohne Konsumationszwang besucht werden. Leider sind viele Bibliotheken nur gerade 15, 25, 40 Stunden geöffnet von total 168 Stunden pro Woche. Also mehr »closed« als »open«. Mit dem Konzept »Open Library« haben Bibliotheken eine prima Möglichkeit, ihre Öffnungszeiten stark auszudehnen, ohne mehr Personal. Die Bibliotheken sind geradezu geschaffen für lange Öffnungszeiten und für einen unbedienten Betrieb, auch abends und sonntags. Denn sie haben viele Stammgäste und wenige einmalige Besucher/-innen. Stammgäste tragen Sorge um ihre Bibliothek.

Die Open Library hat sich bewährt. Die Mehrarbeit fürs Personal ist klein. Der Mehrwert für die Kundinnen und Kunden ist sehr groß und das Feedback äußerst positiv. Die 365-Tage-Bibliothek von Uster ist ein voller Erfolg: Wir haben viel mehr Eintritte, mehr Ausleihen, mehr aktive Kundinnen und Kunden sowie mehr Einnahmen. Open the Library!

Roman Weibel (Foto: Shahrooz Momeni) ist diplomierter Buchhändler mit Studium Kommunikationswissenschaft und Betriebswirtschaft. Er ist seit 2016 Leiter der Stadt- und Regionalbibliothek Uster und Autor des Leitfadens »Open Library – so funktioniert’s!«, erschienen im Dezember 2023.

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