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Gerechtigkeit im Blick

Das Netzwerk »Dekolonialisierung von Bibliotheken im DACH-Raum« plant sein nächstes Treffen auf der BiblioCon in Hamburg – Interessierte sind willkommen.
Die Räume der Indigenous Collection in der Kwantlen Polytechnic University (KPU) Library in Kanada sind leicht zu finden, denn die Regale sind kreisförmig angeordnet. Die Philosophie dahinter: Das europäische Bezugssystem betont häufig Anfang und Ende, während indigene Bezugssysteme oft zirkulär, als Kontinuum aufgebaut sind. Foto: KPU Library

Die Gruppe »Dekolonialisierung von Bibliotheken im DACH-Raum« ist ein offenes und unabhängiges Netzwerk, das den fachlichen Austausch im deutschsprachigen Raum anregen möchte. Es beschäftigt sich mit der Frage, wie angesichts starrer Strukturen, Geschäftsgänge und Regelwerke Dekolonialisierung in Bibliotheken sowie Wissensinfrastrukturen auf die Agenda gebracht und ausgestaltet werden können.

Im Januar 2021 lud die Bibliothek des C3-Zentrums für Internationale Entwicklung in Wien zu einem Online-Austauschtreffen zum Thema Dekolonialisieren von Bibliotheken ein. »Decolonize the Library« war für viele Interessierte eine erste Möglichkeit, sich in deutscher Sprache über das Thema zu informieren und auszutauschen. Die Veranstaltung war innerhalb weniger Minuten überfüllt – für alle, die es nicht ins Meeting geschafft haben, gab es im Nachhinein einen Großteil der Veranstaltung als Aufzeichnung.

Eine kleine Gruppe von Personen beschloss im Anschluss, sich weiter und regelmäßig über das Thema auszutauschen. Daraufhin gründete Andrea Ruscher von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) am 15. Februar 2021 die Mailingliste »Decolonizethelibrary« auf Groups.io, die es ermöglichte, Ideen und Gedanken zu sammeln, Veranstaltungshinweise zu teilen und Fragen zu stellen.

Am 1. Juni 2021 fanden sich einige Kolleginnen und Kollegen zu einem weiteren Online-Treffen zusammen und initiierten damit indirekt die Gründung des Netzwerks zur Dekolonialisierung von Wissenschaftlichen Bibliotheken im DACH-Raum. Nach interner Befragung der Beteiligten wurde die Beschränkung auf Wissenschaftliche Bibliotheken kurze Zeit später aufgehoben.

Durch einen »Call for Networking« konnten wir zahlreiche Interessierte erreichen. Die 70 Follower der Mailingliste sind auf den ganzen deutschsprachigen Raum verteilt: Wien, Salzburg und Zürich sind ebenso vertreten wie Berlin, Hamburg und Leipzig. Auch die repräsentierten Bibliothekstypen der Mitglieder unseres Netzwerks sind sehr heterogen: Kolleginnen und Kollegen aus großen Universitäten neben Spezial- und Museumsbibliotheken und kleinen OPLs. Allen gemeinsam ist das Interesse an Vernetzung und Austausch zum Thema Dekolonisierung und Antirassismus in Bibliotheken.

Steigendes Interesse am Thema

Bereits kurz nach der Gründung des Netzwerks haben einige der Mitglieder am Themenheft »Dekolonisierung« der Libreas mitgearbeitet und einen Lesezirkel ins Leben gerufen. 2022 veranstaltete das Netzwerk eine Öffentliche Arbeitssitzung auf dem Leipziger Bibliothekskongress, um die angestrebte Struktur des Netzwerks und ein Selbstverständnis zu reflektieren. Darüber hinaus nutzten wir die Veranstaltung, um den überregionalen fachlichen Austausch voranzutreiben und darüber zu diskutieren, wie angesichts starrer Strukturen, Geschäftsgänge und Regelwerke »Dekolonialisierung« in Bibliotheken und Wissensinfrastrukturen allgemein als Thema gesetzt und gestaltet werden kann. Die unerwartet hohe Anzahl an Besucherinnen und Besuchern dieser Veranstaltung bewies, wie groß das Interesse an dem Thema ist.

Ebenfalls im Jahr 2022 wurde bei Miraheze das deutschsprachige Wiki »Decolonize The Library« eingerichtet und von vielen Netzwerkmitgliedern mit Inhalten rund um Inhaltserschließung, Erwerbung, Recherche & Datenbanken, aber auch mit allgemeinen Informationen zum Netzwerk und zu Initiativen gefüllt.

Auf der BiblioCon 2023 in Hannover waren wir im #freiraum23 aktiv. Neben einer kurzen Selbstvorstellung hat das Netzwerk eine Präsentation von »Statements on bias in library and archives description« zusammengestellt und zur Diskussion zum Thema »Was bedeutet ›Dekolonialisierung‹ für Bibliotheken?« angeregt. Hier konnten wir unter anderem auch den Kontakt zu Ulrike Kestler von der Kwantlen Polytechnic University in Kanada knüpfen, aus dem später im Jahr noch eine Online-Präsentation zum Thema Best Practice in Kanada entstehen sollte – ein ausführlicher Bericht von Nora Schmidt über diese Veranstaltung ist in der Aprilausgabe der Fachzeitschrift BuB zu finden.

Derzeit planen wir unseren Beitrag für die BiblioCon in Hamburg (Öffentliche Arbeitssitzung am Mittwoch, 5. Juni, von 9 bis 10.30 Uhr in Saal C1 / 1. OG) und freuen uns auch dort auf einen regen Austausch mit Interessierten. Wir sind ein offenes und unabhängiges Netzwerk, das den fachlichen Dialog im deutschsprachigen Raum anregen möchte. Wer Interesse hat, sich zukünftig oder weiterhin mit dem Thema Dekolonialisierung zu beschäftigen, ist herzlich eingeladen, bei unserem monatlichen Online-Treffen vorbeizuschauen und/oder unsere Mailingliste zu abonnieren (weitere Infos dazu im Wiki unter »Netzwerktreffen«)!

Yvonne Schürer (ORCID 0000-0001-7838-5973) leitet seit 2014 die Bibliothek der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 2011 Diplom der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der HTWK Leipzig, bis 2013 Bibliothekarin der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung in Greiz. Von 2014 bis 2018 stellvertretende Vorsitzende AKMB gefolgt von einem berufsbegleitenden MALIS-Studium an der HU Berlin 2019 bis 2021. Ihre Masterarbeit trägt den Titel »Was bedeutet ›Dekolonialisierung‹ für Bibliotheken?«.

Beim Besuch einer Konferenz der britischen Art Library Society kommt sie 2019 erstmals mit dem Begriff »decolonizing« in Berührung. Seither forscht und publiziert sie zum Thema in Bezug auf Bibliotheken und sensibilisiert Kolleginnen und Kollegen – unter anderem im Netzwerk Dekolonialisierung von Bibliotheken im DACH-Raum. Foto: Elisabeth Stiebritz

Die nächste Ausgabe (Aprilheft) der Fachzeitschrift BuB hat den Schwerpunkt »Bibliotheken und Gerechtigkeit«. Dort wird in weiteren Beiträgen vorgestellt, wie Bibliotheken mit ihrer Arbeit zu Gerechtigkeit beitragen. Das Heft und die digitale Ausgabe in der BuB-App erscheinen am 4. April.

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